Die traditionelle Mafia

Die traditionelle Mafia hat sich in einer Wirtschaft entwickelt, die von der Zentralregierung massiv subventioniert wurde. Subventionen, die den wirtschaftlichen Aufbau des Südens befördern sollten, wurden für das „Management der Rückständigkeit“ eingesetzt. Politische Eliten an den Schaltstellen, wo die Steuergelder verteilt werden, und die oberen Kreise der Mafia waren sich einig, die Gelder für die Versorgung ihrer jeweiligen Klientel zu verwenden, wobei der Kauf von Wählerstimmen dazu diente, eine gewisse politische Stabilität zu garantieren. Eine zentrale Stellung in diesem System hatten die staatlichen Bauaufträge. Dieses System regelte auch das Verhältnis zwischen Norden und Süden: Der Norden unterstützte die Kaufkraft der Süditaliener, und der staatlich subventionierte Konsum im Süden garantierte den Absatz der im Norden erzeugten Produkte. So etwa funktionierten damals Wirtschaft und Politik.

Was hat sich geändert? – Alles!

Die Einführung des Euro hat in Italien zu vielen Einschränkungen bei der Verteilung der Steuergelder geführt, die u.a. bewirkten, dass die Subventionen für den Süden gekürzt werden mussten. Entsprechend kleiner fallen jetzt auch die Aufwendungen für staatliche Bauaufträge aus: Von 2015 bis 2016 gingen sie z.B. in Sizilien um 56 % zurück. Außerdem ist der Bausektor in Sizilien erschöpft. Viele Faktoren spielen dabei eine Rolle: Durch eine völlig übertriebene Bautätigkeit hält die Nachfrage mit der Produktion nicht im mindesten Schritt – es gibt 1 Million Gebäude, die keiner braucht. Weitere Faktoren sind die niedrige Geburtenrate, die Emigration der jungen Generation, die Situation am Arbeitsmarkt. Fehlende Arbeitsplätze und Zeitverträge machen es jungen Leuten unmöglich, sich ein Haus oder eine Wohnung zu kaufen. Dies führte zu einem Rückgang der Bauaufträge von 56% und zum Verlust von 100 000 Arbeitsplätzen. Der gleiche Effekt zeigt sich bei den Handwerkern, 5000 Firmen mussten schließen. Diese und andere Faktoren haben zu einer Verarmung der Bevölkerung geführt (Sizilien ist in Europa die Region mit der höchsten Armutsrate: 54 %, im Norden sind es 10 %)

Dies hat nicht nur die legale Gesellschaft verändert, sondern auch die Welt der Cosa Nostra. Die mangelnden Verdienstmöglichkeiten im Bausektor treffen auch die Mafia. Auch die Schutzgelderpressung ist in der Krise: Firmen, die schließen mussten, zahlen kein Schutzgeld mehr. Firmen, die sich noch halten können, haben solche finanziellen Probleme, dass sie die Schutzgelderpresser lieber anzeigen als zu zahlen.

Die Mafiaermittlungen lassen erkennen, dass viele Mafiabosse enorme Probleme haben, die Gelder für die normale Verwaltung der Organisation aufzubringen. Hunderte Mafiosi sitzen im Gefängnis. Ihre Familien müssen versorgt werden, aber das Geld dafür fehlt, auch die Gelder für die Bezahlung der Anwälte fehlen. Das kleine Volk der Mafiosi, das für die Eintreibung der Schutzgelder zuständig ist, beklagt sich über die Unfähigkeit der Bosse, für die grundlegenden Bedürfnisse der Basis zu sorgen, und über deren Unfähigkeit, sich einfach wie gehabt durch Anwendung von Gewalt durchzusetzen.

Abhörprotokoll aus dem Gefängnis in Parma, Klage eines Mafiabosses: „In der Altstadt gibt es noch 4 Tavernen, 4 Pubs, alle leer, Restaurants und Hotels schließen, wechseln den Besitzer. Es gibt keine Arbeit mehr! Wir wissen nicht mehr, was wir machen sollen, um zu überleben!“

Die etwas entwickelteren Teile des Mafia-Universums, wie z.B. die Mafia in Catania (Sizilien), die Familie Graviano aus Palermo, aber vor allem die `Ndrangheta haben begriffen, dass das bisherige Wirtschafts- und politische System zu Ende gegangen ist, dass es heute neue Möglichkeiten gibt, Geld zu machen: im sog. „freien Markt“nämlich!
Mafien im freien Markt

„Folgt der Spur des Geldes – und Ihr trefft auf die Mafia“