„Folgt der Spur des Geldes – und Ihr trefft auf die Mafia“

„Folgt der Spur des Geldes – und Ihr trefft auf die Mafia“ (Giovanni Falcone)
Die aktuelle Situation bei der Bekämpfung der Mafia.

Unter diesem Titel trafen sich wie jedes Jahr vor dem Jahrestag des Attentats von Capaci (Sizilien) Staatsanwälte, Journalisten und Angehörige von Mafia-Opfern in der juristischen Fakultät der Universität Palermo, um in diesem Jahr den ökonomischen Aspekt des Problems vor Publikum zu analysieren. Eingeladen hatten, wie jedes Jahr, die Zeitung Antimafia Duemila und der Antimafia-Studentenverein „Contrariamente“ aus Palermo.

Hier einige Auszüge:

Der Staatsanwalt Sebastiano Ardita aus Messina sieht die aktuelle Situation in Italien mit einiger Sorge. Er stellt einen „schizophrenen Umgang mit dem Erbe Falcones“ fest.
Man begehe einerseits den 25. Jahrestag des Attentats mit großem medialen Pomp, andererseits wolle man von den innovativen Ideen des Antimafia-Richters nichts wissen.

Folgende besorgniserregende Phänomene führt er an:

• 2017 kommen eine Reihe von charismatischen und gewieften Mafiabossen frei, weil sie ihre Strafe abgesessen haben, und das zu einer Zeit, in der Cosa Nostra immer noch auf der Suche nach einem Boss der Bosse ist.

• Die Regierung arbeitet daran, die Erlaubnis für Justizorgane, Gespräche abzuhören, stark einzuschränken.

• Immer wieder versucht die Politik, den Artikel 41 bis (der die Isolationshaft für Mafiabosse und Terroristen festlegt) abzumildern oder ganz abzuschaffen.

• Man erlaubt jetzt dem ehemaligen Präsidenten der Region Sizilien, Salvatore Cuffaro, offiziell Unterricht für Journalisten zu erteilen, obwohl er wegen „schwerer Begünstigung der Mafia“ 6 Jahre im Gefängnis gesessen hat.

• Die von der Mafia ausgehende Korruption findet sich heute in jedem Bereich, von dem aus Einfluss genommen werden kann. Wegen ihrer Unsichtbarkeit kann sie deshalb überall im Staat und in der Verwaltung am Werke sein.

Und so müsse man zu dem Schluss kommen, dass der italienische Staat völlig hinter den Möglichkeiten der Mafia hinterherhinke und wie schon früher auch, in der Zeit vor Falcone, über keine geeigneten Abwehrmöglichkeiten gegen die Mafia verfüge.

Gianni Dragoni, Journalist des Wirtschaftsblattes „Il sole 24 ore“ nennt Zahlen:
Nach Schätzungen der letzten parlamentarischen Antimafia-Kommission hat die italienische Mafia einen Jahresumsatz von 160 Mrd. €, der Gewinn wird auf 105 Mrd. geschätzt.

Wenn also die italienische Mafia mit all ihren Geschäftsaktivitäten eine Holding wäre, wäre sie das weitaus größte italienische Wirtschaftsunternehmen und hätte damit 40 Mrd mehr Umsatz als „Exor“, der größte italienische Konzern, zu dem Fiat-Chrysler, Ferrari, CNH (italienisch-amerikanische Multinationale), PartnerRe (international tätiges Versicherungs-unternehmen) und Juventus Turin gehören. Deren Gesamtumsatz betrug 2016:
111 Mrd. €.

Der Wert eines Unternehmens an der Börse wird nach dem Gewinn berechnet. Nimmt man die geschätzten 105 Mrd. Gewinn zur Grundlage, hätte „Mafia spa“ einen Wert von 1680 Mrd., nahezu das Dreifache von allen 260 an der Börse notierten italienischen Unternehmen.

PS: Apple hatte am 19. Mai 2017 einen Wert von 811 Mrd. $, das sind 725 Mrd. €. Das heißt, „Mafia spa“ könnte Apple kaufen und hätte dann immer noch 955 Mrd. übrig.

Der Moderator Aaron Pettinari, Chefredakteur von Antimafia Duemila, bemerkt, dass Giovanni Falcone vor seiner Ermordung der „Spur des Geldes“ folgte und Ermittlungen über riesige Geldströme der sizilianischen Mafia anstellte, die zuerst auf der kleinen Mailänder Bank Rasini landeten (2) und dann scheinbar im Nichts verschwanden – das „Nichts“ vermutete er in der Schweiz. Diese Ermittlungen waren mit ein Grund für verschiedene Leute, Falcone eliminieren zu wollen. Seit den großen Mafia-Attentaten vor 25 Jahren habe sich aber doch sicher einiges geändert, vermutet Pettinari und übergibt das Mikrofon an Roberto Scarpinato.

Roberto Scarpinato, leitender Oberstaatsanwalt von Palermo, meint, nichts mehr sei so wie früher. Wir befänden uns in einer Welt, in der das Kapital die Demokratie vernichte:
„Das Sagen hat, wer das meiste Kapital besitzt“

Zuerst einmal müsse man einen Fehler vermeiden, der häufig in der Öffentlichkeit gemacht werde: Den Fehler, die Mafia-Phänomene mit den Augen von vor 25 Jahren zu betrachten. „Das Italien von damals existiert nicht mehr!“ Es zeigten sich vielmehr neue Formen der Mafia-Kriminalität, die man mit den bisherigen Antimafia-Gesetzen nicht mehr bewältigen könne. Grund seien die vielen internationalen Veränderungen von historischer Tragweite wie z.B. der Untergang der Sowjetunion, Globalisierung, Einführung des Euro, Osterweiterung der EU und vieles andere. Diese Veränderungen hätten nicht nur die bisherige Ordnung in der legalen Zivilgesellschaft durcheinander gebracht, sondern auch das Gleichgewicht in der ausgedehnten illegalen Gesellschaft und besonders im Universum der Mafien gestört.

Im Innern der Mafien, so Scarpinato, hat eine Spezialisierung stattgefunden: Der traditionelle Mafioso, der Schutzgeld erpresst und dem Opfer die Pistole an die Schläfe setzt, hat ausgedient. Durchsetzung durch Anwendung von Gewalt ist nicht mehr opportun. Mehr Erfolg scheinen neue Formen der Mafia zu haben. Das Kassationsgericht spricht von den „schweigenden Mafien“, er, Scarpinato, nenne sie „Mafie mercatiste“ (etwa: Mafien des Freien Marktes), d.h. Mafien, die sich flexibel an die Veränderungen angepasst, sich die Regeln des sog. Freien Marktes zueigen gemacht haben und zu Service-Agenturen geworden sind, Agenturen, die illegalen Service und illegale Güter zur Verfügung stellen. Dafür gebe es weltweit einen unvorstellbar großen Bedarf von Millionen „normaler“ Leute, denke man z.B. an Millionen Neureiche in China , in Indien, in Russland usw..

Die Selektion und Spezialisierung im Innern der Mafien hätten die klassischen Mafia-Methoden der Gewaltanwendung auf ein Minimum reduziert und es habe sich vor allem im Norden eine neue Art Beziehung Mafia-Bevölkerung herausgebildet, eine „kollusive“ (etwa: Komplizen-) Beziehung, so dass sich die Grenzen zwischen Mafia-Kriminalität, Wirtschafts-Kriminalität, Kriminalität in Politik und Öffentlichem Dienst – die sich vor allem in systema-tischer Korruption äußert -, immer mehr verwischten.

Zahlreiche Ermittlungen und Prozesse der letzten Zeit haben die Existenz von sog. „kriminellen Systemen“ aufgedeckt, die weder die typischen Eigenschaften einer Mafia-Organisation noch die einer „einfachen kriminellen Organisation“ haben (1). Es handelt sich um kriminelle Systeme, die neben den legalen Machtsystemen bestehen, gebildet aus der „Elite der Weißen Kragen“ (z.B. die von der Presse so genannten Cliquen, P2, P3, P4 usw.) und der „Mafia-Aristokratie“. Dort werden Geschäfte abgesprochen, zu denen das normale Volk der Mafiosi keinen Zugang hat.

Scarpinato unterscheidet drei verschiedene Arten von Mafien:

(Die folgenden Ausführungen sind leicht gekürzt. Um der besseren Lesbarkeit willen wird die direkte Rede beibehalten)

1. Die traditionelle Mafia
2. Die Mafien im sog. „Freien Markt“
3. Die kriminellen Systeme

(Roberto Scarpinato beendet seinen Vortrag)

Also wenn wir das, was ich hier ausgeführt habe, ernst nehmen, dann muss klar sein, dass heutzutage der Kampf gegen die Organisierte Kriminalität nicht allein den Gerichten und der Polizei überlassen werden darf. Der Kampf muss weltweit geführt werden, auf allen Ebenen und an allen Fronten. Die wichtigste, die entscheidende Front ist die Bewahrung und die Wiederherstellung der Demokratie in der Politik gegenüber den großen Wirtschafts- und Finanzmächten, von denen die „Mafien im Freien Markt“ ein wichtiger und fester Bestandteil geworden sind.

Der Kampf besteht in der Schaffung nationaler und transnationaler Institutionen, die es den Völkern ermöglichen, wieder über das eigene Schicksal entscheiden zu können und die erlauben, die Kontrolle der Politik über die Wirtschaft wieder herzustellen. Das bedeutet z.B. auf europäischer Ebene, dass es doch nicht sein kann, dass über das Schicksal einzelner Länder entschieden wird von nicht repräsentativen Organen wie z.B. der Europäischen Zentralbank, von der nicht repräsentativen Europäischen Kommission oder vom Europa-Parlament, das nicht die geringste Bedeutung hat. Auch für Europa muss man einen Rechts-staat gründen und ein europäisches Parlament, das Ausdruck des Willens der Völker ist und das die politischen Entscheidungen einzelner Länder kontrollieren kann, das die Entscheidungen, die das Leben der einzelnen Völker betreffen, transparent gestaltet. Man muss also in Italien und in Europa eine politische Demokratie schaffen, die zu einer alternativen Gesellschaft führt, deren Basis die Vorstellung von der „Würde des Menschen“ ist. Die also völlig anders ist als die, die als einzigen Motor das Geld kennt und die den Menschen zur austauschbaren Ware herabwürdigt. Von dieser Art Gesellschaft, die die totale Kontrolle über das Leben jedes einzelnen von uns ermöglicht, träumen die großen Mafiabosse, die großen Bosse der kriminellen Systeme und die Mächtigen in der Wirtschaft.

Anmerkungen:
(1) Die kriminelle Organisation vom Typ Mafia definiert das Gesetz „Art. 416 bis“, die einfache kriminelle Organisation das Gesetz „Art. 416“.
(2) Banca Rasini, Mailand. Kleine Bank, in der Silvio Berlusconis Vater als Beamter angestellt war. Ihre Bekanntheit verdankt die kleine Bank den zahlreichen kriminellen Kunden, darunter den Mafiabossen Totò Riina, Pippo Calò, Bernardo Provenzano und Stefano Bontade.
(3) Für den italienischen Terminus „collusi“ verwende ich im Folgenden die Übersetzung Komplizen, wobei der italienische Begriff ausschließlich Komplizen der Mafia in Wirtschaft, Politik und Bevölkerung meint.
(4) Oligopol: ähnlich einem Monopol (bei dem einer den Markt beherrscht), nur dass hier ein Markt von einigen wenigen kontrolliert wird
(5) Der Fall CONSIP:`Die Consip ist die italienische Zentrale für Anschaffungen für den Öffentlichen Dienst und wird vom Ministerium für Wirtschaft und Finanzen verwaltet. Die Aufwendungen für die Anschaffungen bewegen sich in Milliardenhöhe. 2014 wurde ein staatlicher Auftrag über 2,4 Mrd. für Wartungs- und Reinigungsarbeiten im Gesundheitswesen ausgeschrieben, den jetzt die Staatsanwaltschaften von Neapel und Rom wegen des Vorwurfs der Korruption untersuchen. Festgenommen wurde bisher ein Unternehmer aus Kampanien, ermittelt wird aber auch u.a. gegen den Vater von Matteo Renzi, gegen den Sportminister, gegen einen Exmanager der Consip u. viele andere.
(6) cricche = Cliquen von Leuten in einflussreichen Positionen, wie z.B. Politiker;
P2: Eine Geheimloge, geführt von Licio Gelli, bei der Silvio Berlusconi Mitglied war, inzwischen ist sie aufgelöst, aber es hat Nachfolger gegeben:

Wie läuft`s mit den Bestechungsgeldern? – Du weißt, die Wirtschaftskrise, jetzt muss ich sogar Armbanduhren akzeptieren… (Schrift auf der Ablage: „Hier hinlegen“)

 

 

 

 

 

Und was wollen Sie dafür? – Den Auftrag für die Lieferung von Handschellen

 

Resumee:

Sacrpinato entreißt uns die Brille, mit der wir bisher die Wirtschaft betrachtet haben und zitiert einen Mafiaboss: „Dottore, die Welt ist heute anders als früher. Früher kontrollierte die Politik die Wirtschaft, heute ist es die Wirtschaft, die die Politik regiert. Die Märkte diktieren, was die Regierungen zu tun haben. Und wir sind das schwarze Herz der Wirtschaft. Wir sind die Wirtschaft.

Und mir stellt sich die bange Frage: Welche Politiker retten uns die Demokratie? Was kann ich tun?

You Want To Fight Mafia? Follow The Money!

Artikelserie: Frauen leiden unter Korruption

6 Gedanken zu „„Folgt der Spur des Geldes – und Ihr trefft auf die Mafia“

  1. Pingback: Ein Bombenattentat vor 25 Jahren in Palermo gibt bis heute Rätsel auf | W-T-W.org

  2. Pingback: You Want To Fight Mafia? Follow The Money! | W-T-W.org

  3. Pingback: Italien: „Die `Ndrangheta ist überall“ | W-T-W.org

  4. Pingback: Erste bundesweite Antimafia-Tagung | W-T-W.org

  5. Pingback: Italien: „Die `Ndrangheta ist überall“ | W-T-W.org

  6. Einen riesigen Dank an Frau Klose, die diesen Beitrag gepostet hat ! Schade, dass aber, dass solche Beiträge und Erkenntnisse kaum jemanden interessieren. Ich war am 23.05. in Palermo als der Menschenzug sich im Gedenken an Falcone, Borsellino und all die anderen Mafiaopfer Richtung Baum-Falcone in der Via D’Amelio in Bewegung gesetzt hat. Da hielt jemand einen Plakat in der Hand auf welchem Folgendes stand: „Ich fürchte keine Mafiosi, ich fürchte all die ehrlichen Gleichgültigen“. Und in diesen Worten wird das Problem, meiner Meinung nach, in seiner ganzen Reichweite erklärt.
    Es stimmt, dass in Italien viel zu wenig gegen die Mafia und die sonstige mehr oder weniger organisierte Kriminalität getan wird. Aber in Deutschland wird die Mafia erst gar nicht erwähnt… geschweige denn bekämpft …

Schreibe einen Kommentar zu Lara Baier Antworten abbrechen

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert

Diese Website verwendet Akismet, um Spam zu reduzieren. Erfahre mehr darüber, wie deine Kommentardaten verarbeitet werden.