Mafia? – In Deutschland?

Unter diesem Titel organisierte die Stadtbibliothek Stuttgart am 21.11.2016 in Kooperation mit dem „Staatlichen Seminar für Didaktik und Lehrerbildung“, dem Regierungspräsidium und dem LKA Stuttgart einen Abend, an dem Experten die im Titel enthaltene Frage beantworteten.

Schülerinnen und Schüler des JKG Leonberg stellen einleitend das Ergebnis einer Umfrage zum Thema Mafia vor, die sie auf den Straßen der Stadt durchgeführt haben.
Eine weitere Stuttgarter Schülergruppe, die mit ihren Lehrerinnen im Sommer 2016 eine Studienreise nach Sizilien gemacht haben, skizzieren den Verlauf ihrer Reise., die von der bekannten Antimafia-Vereinigung aus Palermo „Addiopizzo“ organisiert worden war.

Die vier Referenten beleuchten in einem kurzen Referat je einen Aspekt des Themas:

Sandro Mattioli, Journalist und Vorsitzender der einzigen deutschen Antimafia-Organisation „Mafia? Nein danke!“ (Berlin) stellt die Arbeit des Vereins vor: Ziel sei es, das unsichtbare Phänomen Mafia für die Bürger sichtbar zu machen, eine schwierige Aufgabe, da die Mafien allgemein versuchten unsichtbar zu bleiben, um damit den Eindruck zu erwecken, die Mafia existiere in Deutschland gar nicht. Die Mafia betrachte das Massaker von Duisburg 2007 als „Unfall“, denn Aufsehen erregen sei „geschäftsschädigend“.
Die Geschäfte bestünden aus Schutzgelderpressung, oft in der Form von „Du spendest doch sicher für…“, dem Druck auf italienische Geschäftsleute und Restaurantbesitzer, Waren nur von einer bestimmten, mafia-nahen Firma zu beziehen, und den klassischen „Geschäftsfeldern“ wie z.B. Drogen-, Waffen- und Menschenhandel, einfach aus allem, wo es viel Geld zu machen gilt.
Er geht auch darauf ein, dass in Deutschland die Zugehörigkeit zur Mafia kein Straftatbestand ist. Mafiosi könnten also jederzeit „Vereinssitzungen“ veranstalten, ohne dass die Polizei eine Handhabe hätte. In Baden-Württemberg seien Verbindungen von Mafiosi mit Politik und Finanzwelt feststellbar, er nennt aber nur den alten Fall Oettinger. Ein hiesiger Unternehmer, der in die Geschäfte mit der Windkraft einsteigen wollte, habe nicht begriffen, dass seine „Geschäftspartner“ von der Mafia waren, und dadurch sehr viel Geld verloren.

Andreas Frank, ehemaliger Investment-Banker von Goldman-Sachs, heute Berater des Bundestages und des Europarats in Fragen, die das Problem der Geldwäsche betreffen, macht mit seinem Vortrag klar, dass es sich bei der Bekämpfung von Geldwäsche, der OK (Organisierten Kriminalität) und der Terrorfinanzierung um ein riesiges Problem handelt, das alle angeht.
UNODC/IMF schätzen die jährlichen Einnahmen der OK auf € 3 Billionen. Was weltweit konfisziert wird, wird auf weniger als 1 % geschätzt!
Diese gigantischen Geldströme hinterlassen Spuren im Finanzsystem, die nur übersehen werden können, wenn man sie nicht sehen will. Es stelle sich also die Frage, wem die Verschleierung von Geldwäsche nützt. Treuhänder, Anwälte, Banken, Vermögensverwalter usw. verschleierten die Eigentümer und die Herkunft von Vermögen und verhinderten Finanzermittlungen gegen OK und Terrorgruppen. Denn Geldwäsche ist ein lohnendes Geschäft. Es gibt Banken, die mehr Strafen als Steuern bezahlen. Als Beispiel nennt Herr Frank die Credit Suisse, die in den vergangenen Jahren ihr Geschäftsgebaren in 35 Gerichtsverfahren erklären musste.
Wie einfach es ist, Geld zu waschen, erläutert Herr Frank am Beispiel der Bahamas, wo er vor kurzem gewesen ist. Dort kann jeder mit einem Kapital von 100 Dollar einsteigen. Er braucht kein Büro, keine Mitarbeiter vor Ort, kein Telefon, noch nicht einmal einen Briefkasten. Überprüfungen gibt es nicht, die Pauschalbesteuerung liegt bei 350 Dollar im Jahr, die Besitzer des Geldes sind nur dem „registered agent“ bekannt. Und er habe selber erlebt, wie entsprechende Dokumente in seiner Anwesenheit manipuliert wurden, indem sie einfach rückdatiert worden und dann mit dem offiziellen Amtsstempel versehen worden seien.
Herr Frank zitiert den leitenden Oberstaatsanwalt aus Palermo Roberto Scarpinato, der sagte, es gebe unglaubliche Geldströme von Italien nach Deutschland. Es gehe um Milliardenbeträge. Dies hatten 45 Kronzeugen in Vernehmungen bestätigt. Seine Behörde habe allein in Palermo in den letzten 20 Jahren über 4 Milliarden Euro sichergestellt.
Warum ist Deutschland ein Paradies für Geldwäscher? Ideale Länder für diese Art „Geschäft“ sind Länder, die charakterisiert sind durch Rechtsstaatlichkeit, geringe Korruption, liquide Märkte und politische Stabilität. Das bedeutet, Deutschland, Frankreich, Belgien und Großbritannien sind an erster Stelle unter den Geldwäscheparadiesen in Europa.

David Schraven, Journalist und Leiter des journalistischen Recherchezentrums correctiv.org, hat für die WDR – Dokumentation „Mafia in Deutschland“ recherchiert, die Dokumentation „Warum die italienische Mafia Deutschland liebt“ veröffentlicht und kennt sich durch seine Arbeit (z.B. die Reportage „Mafia in Pforzheim“) auch in Süddeutschland aus.
Einleitend möchte Herr Schraven die beiden Fragezeichen im Titel der Veranstaltung durch dicke Ausrufezeichen ersetzen: Die Mafia sei in Deutschland sehr präsent, Deutschland sei kein Rückzugsraum, sondern ein Ort, an dem sie ihren Geschäften ungestört und erfolgreich nachgehen könne. Die Zugehörigkeit zur Mafia ist bei uns nicht strafbar und Geldwäsche sei sehr leicht möglich.
Er berichtet, er sei bei seinen Recherchen Mafia-Mitgliedern sehr nahegekommen. Darunter waren auch mehrere Gespräche mit einem Profi-Killer der Mafia (Das Interview ist Teil der WDR-Dokumentation, die man auf https://correctiv.org/recherchen/mafia/ noch besichtigen kann). Er stellt fest, dass man solchen Menschen ihren Beruf nicht ansieht, wenn man ihnen gegenüber steht. Sie sind nicht aufgewühlt, wenn sie eben „im Auftrag der Mafia“ einen Freund umgebracht haben, sondern können gleich danach seelenruhig „Nudeln mit Hühnchen“ essen.

Tin Huynh, Experte für italienische OK vom LKA in Stuttgart, stellt die LKA- Initiative „Insieme si può – Gemeinsam schaffen wir es“ vor. Zentrum der Initiative ist ein Hinweistelefon im LKA. Insgesamt seien bisher 45 verwertbare Anrufe eingegangen, die in über 20 Fällen zu Ermittlungen und Gerichtsverfahren führten. Das sei angesichts der massiven Präsenz von italienischen Firmen und Betrieben in Baden-Württemberg nicht viel. Der Grund liege im mangelnden Bekanntheitsgrad der Aktion, der darauf zurückzuführen sei, dass das Verteilen und Auslegen der Flyer und das Aufhängen der Plakate bis vor kurzem politisch nicht gewollt war.

Die Veranstaltung schloss mit der Möglichkeit, Fragen an die Experten zu richten. Die Moderation erfolgte durch Dr. Knut Krohn (Ressort Politik, Stuttgarter Zeitung).
Gemeinsam schaffen wir es
Artikelserie:
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