Die Mafien „im Freien Markt“ (Le mafie mercatiste)

In Folge der Schaffung eines globalen Marktes und der Tatsache, dass nun Wirtschaften im Osten am Markt beteiligt sind, die früher davon ausgeschlossen waren, ist die Nachfrage nach illegalen Waren und Dienstleistungen, die von den Mafien angeboten werden, in der ganzen Welt geradezu explodiert. Es gibt 300 Millionen neureiche Chinesen, 200 Millionen neureiche Inder, die alle den Lebensstandard des Westens haben wollen: Kokain, Drogen, Prostituierte.

So ist ein neuer riesiger Markt entstanden, in dem eine unglaubliche Nachfrage nach illegalen Waren und Dienstleistungen besteht. So entstand ein Kapitalfluss, der die Wirtschaft ganzer Nationen nährt, der von der EU entkriminalisiert wurde: 2014 wurde festgelegt, dass die einzelnen Länder für die Berechnung des Bruttoinlandsprodukts den Umsatz von Drogenhandel und Prostitution mit einberechnen müssen. Italien kann also die Kriterien des Stabilitätspaktes . – dank den Geschäften der Organisierten Kriminalität! – einhalten. Die Situation ist demnach völlig schizophren: Einerseits bekämpft man mit Gesetzen, mit der Strafverfolgung die Organisierte Kriminalität, andererseits sagt man sich: Der Kapitalfluss, der durch die Umsätze der Mafia entsteht, hilft unserer Wirtschaft! Übrigens hat Amerika noch vor der EU daran gedacht, die Mafia „im Freien Markt“ zu entkriminalisieren. Das Magazin „Time“ hat eine Rangliste der Großen im amerikanischen Kapitalismus erstellt, und auf Platz 15 oder 16 wird Lucky Luciano angeführt, der in den 30er Jahren die Mafia „im Freien Markt“ erfunden hat.

Die riesige Nachfrage nach illegalen Waren und Dienstleistungen mafiöser Herkunft innerhalb des globalisierten Marktes wird nicht nur durch die Nachfrage von Millionen und Millionen von „normalen Personen“ des Weltmarkts kreiert, sie wird – in Italien wie im Ausland – auch von sehr vielen Unternehmern und Finanzleuten gespeist, die Service-Leistungen bei der Mafia nachfragen, um ihren Profit zu steigern, um finanzielle Engpässe zu bewältigen, um in ihrer Außenwirkung als konkurrenzfähig dazustehen, denn sie wissen, dass sie sich in einem Markt bewegen, der die Schwächsten erbarmungslos aussortiert.
Ermittlungen der Staatsanwaltschaften in Mittel- und Norditalien haben ergeben, dass Hunderte von Firmen sich an die Mafia gewandt haben, damit sie für sie den Giftmüll entsorge, dass sie Finanzierungshilfen leiste, damit sie helfe, die Konkurrenz auszuschalten, damit sie gefälschte Rechnungen ausstelle usw.

Ein Beispiel: „Ich bin ein Bauunternehmer, der einen Wolkenkratzer im Mailänder Zentrum errichten will, doch dafür muss ich zuerst ein Gebäude entfernen, das in den 50er Jahren errichtet worden und voller Asbest ist. Wenn ich dies auf legale Weise tue, kostet mich das hundert, wenn ich den Auftrag an einen Weiße-Kragen-Täter der Mafia vergebe, zahle ich 40! Und es handelt sich hier nicht um Einzelfälle, sondern um ein Massenphänomen.“
Die Ermittlung „Star War“ im Norden hat ergeben, dass eine der größten illegalen Müllkippen in Italien sich zwischen Mailand und Desio (Provinz Monza) befindet. Sie wurde von der `Ndrangheta betrieben und ist 65 000 qm groß. Auf dieser Müllkippe haben Hunderte von Firmen aus dem Raum Bergamo jahrelang ihren höchst umweltschädlichen Giftmüll entsorgt. Davon betroffen sind 178 Millionen m³ Boden mit Gruben von 9 m Tiefe!

Wir sehen: Zwischen Wirtschaft und Mafia ist eine neue Beziehung entstanden, und es ist interessant zu beobachten, dass die neue Vorgehensweise der Mafia im Norden auch zu einer neuen Beziehung zwischen Mafia und Bevölkerung geführt hat.
Während die traditionelle Mafia mit Gewalt und Einschüchterung operierte, was ihr Vorgehen sichtbar machte, und was zu Reaktionen aller Art aus der Bevölkerung führte, halten sich die neuen „Mafien im Freien Markt“ zurück und beschränken sich darauf, ihre Waren und Service-Leistungen anzubieten, für die es eine große Nachfrage bei den „normalen Leuten“ und den Finanzleuten der Gegend gibt. Sie stellen also „kollusive“ Verbindungen mit den Leuten vor Ort her, d.h. dass sie ihr Vorgehen abstimmen, wobei sie sich gegenseitig Vorteile verschaffen.

Dieser neue Modus operandi der neuen „Mafien im Freien Markt“, die zu einer Beziehung zwischen Komplizen führt, ist vom Gesetzgeber der Vergangenheit nicht vorhergesehen worden. Der „Art. 416 bis“ geht von einem gewalttätigen, seine Umgebung ausplündernden, sichtbar vorgehenden Mafioso aus, der in seinem Umfeld ein Klima der Einschüchterung und Angst verbreitet. Die neuen „Mafien im Freien Markt“ aber haben eine andere Beziehung zur Bevölkerung. So befand sich das Kassationsgericht in großen Schwierigkeiten, als es sich mit Fällen befassen musste, bei denen Gruppen im Piemont, in der Lombardei operierten, die im Kern eine Mafia-Organisation waren, die Mafia-Regeln befolgten, die aber weder Gewalt noch Einschüchterung eingesetzt hatten. Einige Sektionen des Gerichts befanden, dass man diese Gruppen nicht nach „Art. 416 bis“ wegen Zugehörigkeit zur Mafia verurteilen könne, wenn sie auf die typischen (und im Gesetz genannten) Mafia-Methoden verzichteten und haben sie freigesprochen. Andere Sektionen aber, die befürchteten, der Staat stelle sich als wehrlos gegenüber diesen neuen Mafien dar, haben folgende These aufgestellt, die jetzt in der Regel angewendet wird: Ein Vergehen nach „Art. 416 bis“ bestehe auch bei im Norden tätigen Gruppen, die Ableger von großen Mafia-Organisationen sind, deren gewalttätige und einschüchternde Vorgehensweise über die Medien im ganzen Land bekannt ist und deshalb auch außerhalb ihres ursprünglichen Territoriums ihre Wirkung entfaltet, weshalb der Einsatz von Gewalt nicht mehr notwendig ist, um ein Urteil auf Grund des Art. 416 bis zu fällen.
Es handelt sich um eine geniale These, die trotzdem die Schwierigkeiten aufzeigt, neue Phänomene nach alten Gesetzen beurteilen zu wollen. Es ist allerdings nicht ganz wahr, dass die Mafien im Norden das Territorium durch Einschüchterung erobern. Doch es wird immer wahrer zu sagen, dass sie den Norden erobern durch die finanziellen Vorteile, die sie der Bevölkerung verschaffen.

Auch die Präventionsmaßnahmen werfen allmählich Probleme auf. Früher war das wirklich einfach: Ein neuer Kronzeuge sagt aus, nennt die Namen einer Reihe von Unternehmern, die im Bausektor arbeiteten, und die Komplizen der Mafia (3) waren und Hunderte von Gebäuden errichtet hatten. Dann konnte man einschreiten, den Besitz beschlagnahmen und schließlich konfiszieren.

Was hat sich inzwischen geändert? – Alles!
Neu ist, dass die neue „Mafia im Freien Markt“ nicht mehr in die Realwirtschaft investiert, wenigstens in Italien ist das so, sondern in Finanzspekulationen, weil damit größere Gewinne zu erzielen sind. Oder sie investiert wie die multinationalen Konzerne nicht in Italien, weil da Arbeitsplätze gewisse Kosten verursachen, weil es Gesetze zum Schutz der Umwelt gibt, die die Kosten der Unternehmer in die Höhe treiben, sondern sie investieren in Ländern, wo das Risiko bestraft zu werden gleich null ist, wo es keine Umweltgesetze, keine Gewerkschaften gibt.

Wenn die Medien heute über millionenschwere Konfiszierungen von Mafiabesitz berichten, handelt es sich um Besitztümer, die sich die Mafia in der Vergangenheit angeeignet hat. Wo sich jedoch die aktuellen Kapitalien der Mafien befinden, das ist schwierig aufzudecken, weil sie sich in den großen Geldfonds der Börsen befinden. Sie bringen die Weltwirtschaft in Schwung, nur ein Beispiel: Ein einzelnes mexikanisches Drogenkartell hat einen Umsatz, der mit dem von Google vergleichbar ist. Oder ein andere Beispiel: In Amerika hat man entdeckt, dass der viertgrößte Bankenkonzern „Cracovia“ 380 Mrd. Dollar der mexikanischen Mafia gewaschen hat. Angesichts dieser schweren Zuwiderhandlung gegen die amerikanischen Geldwäschegesetze hätte die amerikanische Administration Anklage gegen die Manager der Bank erheben müssen. Aber die Banca Cracovia ist eine systemrelevante Bank, weshalb eine Anklage gegen die Leitung der Bank zu einem totalen Crash hätte führen können. Also hat man auf eine Strafverfolgung verzichtet und sich lediglich auf eine Geldstrafe von 160 Millionen Euro geeinigt. Das hört sich wie eine beträchtliche Summe an, aber es ist nur 2% des Bankumsatzes.

Was bedeutet das? Die Mafia, wir sprechen hier von der `Ndrangheta und der mexika-nischen Mafia, von der Mafia im freien Markt – die Mafia ist dank der Geldflüsse, die sie in den legalen Geldkreislauf einspeisen konnte, zu einem festen Bestandteil jenes Finanzkapitalismus geworden, der heute seine Beziehungen zur Politik neu gestalten will, und die Absicht hat, die Politik der einzelnen Länder zu dominieren. Wenn wir hören „Die Märkte sagen“, „die Märkte wollen“ muss uns klar sein, dass die Märkte in Wahrheit von wenigen Oligopolen (4) regiert werden, die mit ihrem Geld die Bewegungen der Märkte bestimmen. Die Oligopole bestehen aus den großen Finanzkapitalisten, zu denen auch die „Mafien im freien Markt“ gehören. Wenn wir Staatsanwälte also weiter über Erpressungen ermitteln, gegen Beppe und Totò ermitteln, und nicht begreifen, dass sich inzwischen das kulturelle Paradigma beim Kampf gegen die Mafia geändert hat – wenn z.B. die EU sagt, wir müssen der Mafia dankbar sein, weil sie uns hilft, die Wirtschaft in Gang zu bringen, und nicht verstehen, dass die „Mafien im freien Markt“ fester Bestandteil des Finanzkapitalismus geworden sind, dann haben wir wirklich den Anschluss verpasst!
Die kriminellen Systeme

„Folgt der Spur des Geldes – und Ihr trefft auf die Mafia“