Referenten der Antimafia-Tagung

Der italienische Botschafter Pietro Benassi hob in seiner Begrüßungsrede hervor, dass die Sicherheit in Europa in vielerlei Hinsicht bedroht ist. Eine der Gefährdungen bestehe in der scheinbar unbemerkt bleibenden, sich ständig ausweitenden Infiltration der europäischen Staaten durch das organisierte Verbrechen, darunter auch durch die italienischen Mafien. Er unterstrich die Bedeutung einer solchen bundesweiten Antimafia-Tagung. Er fühle sich geehrt, dass seine Botschaft einen entscheidenden Beitrag zum Zustandekommen leisten konnte und zitierte anschließend den vor 25 Jahren von der Mafia ermodeten Antimafia-Richter Paolo Borsellino, der der Bevölkerung und dem Staat als entscheidenden Beitrag jedes einzelnen mit auf den Weg gegeben hatte: „Sprecht über die Mafia! Sprecht darüber im Radio, im Fernsehen, in den Zeitungen. Aber sprecht darüber!“

Sandro Mattioli, Vorsitzender von „Mafia? Nein Danke!“ und freier Journalist, betonte die Unsichtbarkeit der Mafien: „Man kann z.B. in einem Bierzelt mitschunkeln und –singen, ohne zu wissen, dass die hier ausgegebenen Euro direkt auf die Konten der `Ndrangheta wandern“, während Frank Burgdörfer, Vorstandsmitglied der Europäischen Bewegung, vor allem die gemeinsamen Werte in Europa durch die Mafien bedroht sieht. Laura Garavini, Gründerin von Mafia? Nein Danke! und Mitglied der Deutsch-Italienischen Parlamentariergruppe findet, dass es auf die Globalisierung der Mafien nur eine Antwort gebe: Die Globalisierung der Antimafia-Bewegung. Ihr Kollege Lars Castellucci führt Beispiele an, bei denen man auf besondere Herausforderungen (wie z.B. die Silvesternacht auf der Domplatte von Köln) konkret reagiert und damit aus einem Fehler gelernt habe. Dies sei bisher in der Bedrohung durch die OK nicht passiert, man scheine sich eher an einen höchst unbefriedigenden Zustand gewöhnen zu wollen. Das müsse unbedingt anders werden.

Die Bekämpfung von Mafia-Organisationen in Europa: Erfahrungen aus der Praxis

David Ellero, Europol, Abteilungsleiter Wirtschafts- und Eigentumsdelikte, bezeichnet unter den mehr als 500 europaweit aktiven OK-Gruppen diejenigen als besonders gefährlich, die es schaffen, in Wirtschaft und öffentlicher Verwaltung Fuß zu fassen. Wie international die Mafien arbeiten, verdeutlicht er an einem Schaubild mit den Telefonkontakten eines Mafia-Bosses. Er ist in ständigem Kontakt mit Personen aus 15 Nationen! Die Mafia-Hochburgen seien Spanien, Deutschland, Holland und Belgien. Wie gefährlich die Bedrohung durch die Mafien ist, das habe man in der legalen Wirtschaft leider noch nicht begriffen.

Es gebe drei Säulen, auf die die Mafien sich stützen könnten:

  1. Die nicht angemessene Gesetzgebung in den einzelnen europäischen Staaten
  2. Das in allen Bereichen der Gesellschaft fehlende Wissen über das Phänomen Mafia
  3. Die Frage der Prioritäten. Er nennt ein Beispiel aus der lokalen Ebene: Ein Revier hat fünf Leute zur Verfügung und drei Probleme zu lösen: Mit Sicherheit würde das Problem eines Mafiaverdachts an die letzte Stelle gesetzt. (Das Gleiche gilt m.E. für die Politik: Weder in Deutschland noch in Italien taucht der Kampf gegen die Mafien im offiziellen Regierungsprogramm auf, dabei würde dies sofort die gesamte Situation im Land völlig verändern, Anm. Klose)

Er kündigt die Schaffung einer europäischen Datenbank an, damit europaweit Zugriff auf die Ermittlungsergebnisse und ein Abgleich dieser Daten möglich wird.

Bernd Finger, Mitbegründer von Mafia? Nein danke! (MND) und ehemals Leiter der Abt. OK im LKA Berlin, hält die Aus- und Fortbildung der Polizei für ein wichtiges Betätigungsfeld, um Wissen über das Phänomen Mafia zu vermitteln. Außerdem spiele auch der kulturelle Aspekt eine große Rolle, um z.B. in einer Ermittlergruppe ein Zugehörigkeitsgefühl zu schaffen und um einen Ausgleich für all das Hässliche zu schaffen, dem man in seiner Arbeit begegne. In Berlin sei es gelungen, die Prävention in der Bekämpfung der OK zu implementieren. Gelegenheiten, bei denen die Verbindung von Zivilgesellschaft und Institutionen für die Öffentlichkeit sichtbar werden, seien ebenfalls wichtig und er nennt hier als Beispiel gemeinsame Pressekonferenzen zwischen Polizei und Vertretern von MND. Abschließend formuliert er zwei Wünsche: 1. Dass die europäische Gesetzgebung, z.B. bei der Geldabschöpfung, bei uns schneller umgesetzt werde und 2. dass Gesetze geschaffen werden, die den Schutz von Journalisten und Whistleblowern garantieren, der sei bisher mangelhaft.

Wirtschaftskriminalität: Gefahren für Gesellschaften und Märkte

Luca Storti, Universität Turin, definiert zunächst Mafia als eine Form organisierter Kriminalität, die aber, anders als OK im allgemeinen, auf die Kontrolle des Territoriums abzielt, das heißt, die Kontrolle über Gesellschaft, Wirtschaft und Politik. Für die Kontrolle des Territoriums ist der „soziale Konsens“, die Zustimmung aus den verschiedenen Bereichen der Gesellschaft, notwendig. Die Infiltration erfolgt, indem die Mafiosi Beziehungen anbieten, Beziehungen z.B. zwischen Mafiosi, Unternehmern, Politikern, Freiberuflern, Finanzleuten usw. In diesen neu geschaffenen Netzwerken werden Interessen, Ideen und Gelder ausgetauscht. So schaffen sie eine feste Netzwerk-Zugehörigkeit, die für Ermittler schwer zu durchdringen ist.

Kleine und mittlere Betriebe sind am gefährdesten, und hier vor allem das Baugewerbe und alle damit verbundenen Sektoren der Wirtschaft. Aber generell gelte: Es gebe keinen einzigen Wirtschaftssektor, der immun gegen Infiltration durch die Mafia sei.

Und die Folgen? Die schlechtesten Firmen werden zu Gewinnern, denn sie können die billigsten Angebote machen, weil sie nicht gewinnorientiert arbeiten müssen. Solche Firmen investieren nirgends, da es ihnen um die Kontrolle eines ganzen Sektors geht. Das führt zu einer Verarmung des jeweiligen Gebietes. In der Bevölkerung wird das Vertrauen in die Institutionen geschwächt und bei den Unternehmern schwindet die Bereitschaft zur Innovation. Insgesamt behindert dies die Weiterentwicklung von Firmen. Man müsse also sagen, dass die Infiltration einer Wirtschaft durch die Mafia kurzfristig einzelnen Unternehmen bei bestehenden Problemen helfen kann, dass aber langfristig die gesamte Gesellschaft Schaden nimmt. Was kann man tun? Erste Voraussetzung sei, Wissen über die Mafien zu erwerben, dann müsse die Politik für entsprechende Gesetze zum Schutz der legalen Wirtschaft sorgen.

Andreas Frank, Anti-Geldwäsche-Berater, zitiert eingangs den leitenden Antimafia-Staatsanwalt aus Palermo, Roberto Scarpinato, der sagte, wenn er Geld waschen wolle, würde er das in Deutschland tun, denn da sei das Entdeckungsrisiko gleich null. Hochrisikoländer für Geldwäsche seien England, Frankreich und Deutschland.

Er zeigt, in welchen Größenordnungen sich der Umsatz der Mafien bewegt und betont, die Tatsache dass von der Mafia aufgekaufte oder beeinflusste Firmen nicht gewinnorientiert arbeiten müssen, eine ernste Gefahr für die legale Wirtschaft sei. Er beklagt, dass die Geldwäschegesetze jahrelang nicht umgesetzt worden seien und weist darauf hin, dass die gigantischen Mafia-Vermögen in manchen Ländern schon dazu geführt haben, dass ganze Regierungen gekauft worden sind und dass dort die Mafia die Politik bestimmt. Er beendet seinen Vortrag folgendermaßen „Wer nicht in einer Diktatur aufwachen möchte, muss heute etwas tun, weil es in fünf bis zehn Jahren zu spät sein könnte.“

Das Wissen und Bewusstsein über Mafia-Phänomene. Die Rolle der Information

Axel Hemmerling, MDR, ein Autor der MDR-Dokumentation „Revier der Paten. Die Mafia in Mitteldeutschland“, schildert die Schwierigkeiten bei der Berichterstattung über Mafia-Phänomene. U.a. hätten er und seine Kollegen sich wiederholt den Vorwurf der „Krawallberichterstattung“ gefallen lassen müssen. Der Innenminister von Thüringen meinte zur Gefahr durch die Mafia in Thüringen, sie liege „unterhalb der polizeilichen Wahrnehmung“, sei also kein Problem. Auch die Erfurter Tourismus-Managerin hätten sie sich zur erbitterten Feindin gemacht, weil Mafia-Berichterstattung dem Image der Stadt schade. Auf Nachfrage geht er auch auf den von einem Italiener angestrengten erfolgreichen Prozess gegen den Sender und die drei Autoren ein: die Dokumentation habe seine Persönlichkeitsrechte verletzt. Er betont, dass in ihrem Fall der Sender voll hinter den Autoren gestanden und jede Art von Schutz angeboten habe, ganz anders als im Fall von Jürgen Roth und Petra Reski, die ebenfalls erfolgreich verklagt wurden und Stellen in ihren Büchern schwärzen mussten. Der italienische Gastwirt habe auch 50 000 Euro Schmerzensgeld verlangt, was aber vom Gericht am 30.6.2017 definitiv abgelehnt worden sei.

Sicherheit und Legalität: Aktuelle Herausforderungen für Europa

Bundesinnenminister Thomas De Maiziére zählt folgende Probleme auf: Die vielfältige Infiltration in die legale Wirtschaft. Auch die von den Mafien benutzten Kommunikationswege stellten den Staat und die Ermittler vor große Probleme (s. die aktuelle Diskussion um die Überwachung der sozialen Medien). Das dritte Problemfeld sei die bisher mangelhafte „interoperable“ Zusammenarbeit: Als Beispiel nennt er die Flüchtlingsdatenbank, in der der Fingerabdruck jedes Flüchtlings abgespeichert sei, nicht aber der Name. Die Polizei jedoch verfüge für Kontrollen über Daten, bei denen die Namen, nicht aber die Fingerabdrücke gespeichert seien. Hier sei noch viel zu tun.

Allerdings nehme er sich italienische Antimafia-Gesetze zum Vorbild. So sei aktuell das neue Geldwäschegesetz verabschiedet worden. Auch der Tatbestand der „kriminellen Vereinigung“ sei neu gefasst worden, so dass er auch auf Mafiosi angewendet werden könne. Auch dieses Gesetz werde bald in Kraft treten.

Auf einen Appell aus dem Publikum, ob es nicht Zeit sei, die Bekämpfung der OK auf die Prioritätenliste der Regierung zu setzen, verweist er auf die gute Zusammenarbeit von Innenministerium mit den Polizeikräften.

Der italienische Innenminister Marco Minniti schildert die Schwierigkeiten Italiens im Umgang mit der massenhaften Landung von Flüchtlingen und mit den anderen Mitgliedsstaaten der EU.

Die Zusammenarbeit der deutschen und italienischen Sicherheitskräfte bei der Bekämpfung der OK

Der nationale Antimafia-Staatsanwalt Franco Roberti verweist auf die unzureichende Umsetzung der Uno-Konvention von Palermo aus dem Jahre 2000, in dem die globale Bekämpfung der Mafien beschlossen worden ist.

Peter Henzler, Vizepräsident des BKA, berichtet von der Einrichtung einer deutsch-italienischen Task force am BKA, die schon einiges bewirkt habe. Die Kooperation mit Italien sei institutionalisiert, es gebe sog. „Verbindungsbeamte“, deren Aufgabe es sei, die internationale Zusammenarbeit zu fördern. Die Zusammenarbeit bei der Polizei funktioniere gut, problematisch sei die Kooperation auf der Ebene der Justiz. Ein Grund dafür sei in den unterschiedlichen Systemen zu sehen, so könne der Generalbundesanwalt mit dem Nationalen Antimafia-Staatsanwalt aus Italien nicht zusammenarbeiten, da das Problem der Mafien nicht zu seinem Aufgabenbereich gehört. Eine Schwierigkeit seien auch die unterschiedlichen Gesetze in Europa, die auf unterschiedlichen Traditionen aufbauen. So habe man entschieden, der Versuch einer Abgleichung auf europäischer Ebene sei nicht praktikabel, weil dies Jahre oder Jahrzehnte in Anspruch nehmen würde. Also versuche man jetzt andere Wege für eine europaweite Zusammenarbeit der Justiz zu finden.

Entwicklungsstrategien einer mafiösen Organisation: der Fall der kalabrischen `Ndrangheta

Der Antimafiastaatsanwalt Giuseppe Lombardo aus Kalabrien nennt als zentrales Problem der Bekämpfung der Mafien das gar nicht oder nicht ausreichend vorhandene Wissen über die Mafien, dies gelte auch für seinen eigenen Berufsstand. Als Beispiel nennt er das Massaker von Duisburg 2007. Die Staatsanwaltschaft von Reggio Calabria sei in Italien diejenige, die am häufigsten abhört. Aber die transnationale Tätigkeit der Mafien führe dazu, dass immer wieder Informationen, die man durch Abhörmaßnahmen hätte bekommen können, nicht bei den ermittelnden Behörden landen, weil das entscheidende Gespräch in den Zellen der Organisation im Ausland geführt worden sei. Dies sei die Erklärung dafür, dass seine Staatsanwaltschaft genauso überrascht worden sei von der in Duisburg ausgetragenen Fehde zweier `Ndrangheta-Clans aus San Luca (Kalabrien).

Auch ein Staatsanwalt dürfe sich nicht darauf beschränken, Antworten auf ermittlungs-relevante Fragen zu suchen, sondern müsse ständig das gesamte Mafia-Phänomen, mit dem er es zu tun hat, studieren und in der Lage sein, von konkreten Ereignissen aus die Struktur der Organisation oder bestimmte Handlungsverläufe zu rekonstruieren. Vor Duisburg wären die Staatsanwälte von einer rein horizontalen Organisation der `Ndrangheta ausgegangen. Diese These sei 1969 aufgestellt worden und habe bis 2007 für die Gerichte als Ausgangshypothese gegolten. Erst durch das Attentat von Duisburg sei klar geworden, dass die `Ndrangheta inzwischen eine völlig neue Struktur habe.

Er stellt nun seine Rekonstruktion der Entwicklung der `Ndrangheta als Organisation vor, von der rein horizontal (in einzelnen Familien) ausgerichteten Organisation bis zum heutigen Zustand einer „struttura verticale di tipo verticistico“ (vertikale Struktur, in der die Entscheidungen von oben getroffen werden).

Die `Ndrangheta des Jahres 2017 hat drei Ebenen; Die unterste Ebene, die sog. „Provincia“, die sich vor allem um den Drogenhandel kümmert, aber auch als „Gericht“ für `Ndranghetisti fungiert, die sich nicht an die Regeln halten. Die zweite Ebene, die sog. „Direzione operativa“, trifft die Entscheidungen für die drei großen `Ndrangheta-„RegierungsBezirke“ in Kalabrien. Die oberste Ebene, „SANTA“ genannt, trifft die wichtigsten Entscheidungen. Sie ist die Ebene, die den Kontakt zur Gesellschaft, zur Wirtschaft, zur Politik herstellt, die richtiggehende „Kriminelle Systeme“ bildet.

Die Ausbreitung der kalabrischen Mafia in Norditalien und in Europa sei u.a. damit zu erklären, dass die `Ndrangheta eine besondere Ressource zur Verfügung habe: Das kollektive Wissen von der Gefährlichkeit und Erbarmungslosigkeit der Mafia, die kollektive Angst vor ihrer Organisation.

Er schließt seinen Vortrag mit der Bemerkung: Wenn man die `Ndrangheta des Jahres 2017 bekämpfen wolle, müsse man Wissen über sie haben, man müsse in der Lage sein, sie zu erkennen, wenn man ihr von Angesicht zu Angesicht gegenüber stehe.

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BIOGRAFIE-Antimafia
GLOSSARIO

„Die Mafia existiert nicht, und falls doch, dann habe ich da eben geschlafen.