Appell der italienischen Antimafia: „Alle müssen etwas tun!“

Seit 1996 wird in ganz Italien am Beginn des Frühlings, am 21. März, der unschuldigen Opfer der Mafia gedacht. In verschiedenen Städten bereitet die Antimafia-Organisation Libera Veranstaltungen und Demonstrationen vor, auf denen unter anderem 300 Namen von Opfern der Mafia verlesen werden. Aus diesem Anlass richteten führende Persönlichkeiten der Antimafia einen Appell an die gesamte Gesellschaft.

In Foggia (Apulien), wo die Hauptveranstaltung statt fand, mahnte Don Luigi Ciotti, Gründer der über die Grenzen Italiens hinaus aktiven Antimafia-Organisation Libera:

 Damit sich etwas ändern könne und das Antimafia-Engagement für jeden zu einer täglichen Praxis werde, müsse jeder einzelne drei Begriffe präsent haben: Beständigkeit und den Austausch mit anderen, denn nur das Wir könne gewinnen. Der dritte Begriff sei Verantwortung übernehmen und damit meine er, dass man immer wieder vom Staat verlange, dass er seine Aufgabe erfülle. Und falls dieser seinen Pflichten nicht nachkomme, müsse man die Rolle des „Dorns im Fleische“ übernehmen. Die gleiche Rolle müsse man aber auch seinen Mitbürgern gegenüber spielen, denn es genüge nicht, einer momentanen Eingebung folgend sich einen Tag lang zu engagieren, um dann am nächsten Tag wieder nur noch die eigenen Interessen zu leben.

Nino Di Matteo, Nationaler Antimafia-Staatsanwalt und Hauptkläger im Prozess zur trattativa (Prozess zu den Verhandlungen zwischen Mafia und Staat der Jahre 1992/93), eingeladen vom Erfinder der Internetplattform Wikimafia, stellt sich in Mailand einem Interview und wendet sich vor allem an die jungen Leute im vollbesetzten Saal:

Die Mafia sei ein Thema von nationaler Bedeutung. Und zwar nicht nur deswegen, weil in der letzten Zeit die Präsenz der Mafien auch in Norditalien offensichtlich geworden sei, sondern auch deshalb, weil die Mafia schon seit langem in Politik und Institutionen eingedrungen sei. Als Beleg zitiert er Urteile gegen italienische Politiker, die nachweislich mit der Mafia zusammengearbeitet haben: Giulio Andreotti (1), Marcello Dell’Utri (2) und zwei Ministerpräsidenten der Region Sizilien (3).

Mafia und Korruption gingen Hand in Hand, sie seien zwei Seiten derselben Medaille. Die Tatsache, dass in Italien kaum jemand wegen Korruption verurteilt ist, sei Indiz dafür, dass Korruption in Italien bisher straffrei ist. Anstatt den Mafia-Paragrafen zu reformieren, müsse die Politik wirkungsvolle Gesetze gegen Korruption schaffen.

Nando dalla Chiesa, Soziologieprofessor an der Universität Mailand und Ehrenpräsident von Libera, findet die politische Situation nach dem Wahlkampf in Italien besorgniserregend und sieht Anzeichen dafür, dass der „furchtbare Pakt zwischen Mafia und Politik“ weiter andauert.

Das erste Indiz ist für ihn die Tatsache, dass keine Partei im Wahlkampf die Bekämpfung von Mafien und Korruption auf die Agenda gesetzt hat.

1996 und 2001 habe er während seiner Tätigkeit im italienische Parlament beobachten können, dass alle Punkte, die von der Mafia vom Staat gefordert wurden (4), im Parlament verhandelt und in Gesetze verwandelt worden seien. Die geforderte Abschaffung des Urteils „lebenslänglich“ z.B. sei erst gestoppt worden, als die Staatsanwälte aus Palermo den Parlamentariern die Konsequenzen für den Kampf gegen die OK bewusst machten.

Das Gleiche passiere jetzt, und das sei für ihn das zweite Indiz: Die italienische Regierung hat eine Reform des Strafvollzugs eingeleitet, deren Einzelheiten und mögliche Konsequenzen bisher der Öffentlichkeit vorenthalten wurden. Eine einzige Zeitung habe bisher darüber berichtet. Diese Strafreform sieht Erleichterungen auch für Häftlinge vor, die wegen Mafia-Verbrechen einsitzen. Da seit längerem immer wieder versucht werde, auch den Paragraphen 41 bis, der Isolationshaft für gefährliche Mafia-Bosse vorsieht, zu reformieren, sei in seinen Augen dieses Vorgehen ein Zeichen, dass die Regierung ihren Teil des Paktes mit der Mafia erfüllen wolle.

Dass jetzt, trotz Wahlkampagne und Auflösung der Parlamente, die Reform des Strafvollzugs von der geschäftsführenden Regierung vorangetrieben werde, sei ein recht ungewöhnliches Vorgehen. Normalerweise müsse eine Gesetzesreform, die von der vorhergehenden Regierung nicht abgeschlossen werden konnte, zunächst gestoppt werden, damit neu gewähltes Parlament und Regierung die Möglichkeit hätten, das Reformvorhaben zu prüfen.

Er wünsche sich, dass die neue Regierung einen anderen Kurs einschlage als die alte, doch große Hoffnungen mache er sich nicht.

(1) Der sieben Mal zum Regierungschef gewählte Giulio Andreotti, dem die Richter in letzter Instanz Zusammenarbeit mit der Mafia bis 1980 attestierten, ein Vergehen, das aber zum Zeitpunkt des Richterspruchs (2004) verjährt war, gilt in der italienischen Öffentlichkeit weithin leider als unschuldig, weil angeblich „frei gesprochen“.

(2) Marcello Dell’Utri war rechte Hand und Mitbegründer der Partei von Silvio Berlusconi „Forza Italia“. 2014 wurde er wegen Beihilfe zu Mafia-Verbrechen zu sieben Jahren Haft verurteilt. Auch im Prozess zur trattativa sitzt er auf der Anklagebank. Die Staatsanwälte haben im Februar 2018 12 Jahre Haft beantragt.

(3) Gemeint sind Totò Cuffaro und Raffaele Lombardo

(4) Ein Beweisstück im Prozess zur trattativa ist das laut Zeugen von Totò Riina verfasste Schriftstück, il papello, in dem die italienische Regierung u.a. aufgefordert wird, das Urteil „lebenslänglich“ abzuschaffen. Auf der Liste taucht natürlich auch die Revision der Urteile des Maxiprozesses und die Abschaffung des Paragraphen 41 bis auf.

L’Italia è una Repubblica fondata sulla Mafia

(Die Zeichnung stellt den Boss der Bosse dar: Totò Riina)

„Wir sind die Geschichte!“  „Italien ist eine Republik, die auf der Mafia gegründet ist.“

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