Die Infiltration der Mafien in die legale Wirtschaft

Dies der Titel eines Kongresses, der anlässlich der Vorstellung des Buches
Das Unternehmen in der sog. „Grauzone“ von Stefania Pellegrini (Universität Bologna)
im Sitz der RAI Sicilia abgehalten wurde. Unter den geladenen Experten auch der Generalstaatsanwalt von Palermo, Roberto Scarpinato, der die aktuelle Situation folgendermaßen beschreibt:

Eingangs warnt der Staatsanwalt davor, den Fehler zu begehen, die Mafien mit der Brille von vor 25 Jahren zu betrachten. Die makropolitische und makroökonomische Lage habe sich in diesem Zeitraum durch große historische Umwälzungen wie den Untergang des Kommunismus, die Globalisierung und die Einführung des Euro gravierend verändert. Damit sei auch das bisherige Gleichgewicht einzelner Länder erschüttert und verändert worden.

Auch die Mafien mussten sich neu orientieren. Kurz gesagt, die Mafien hätten den Weg „dalla violenza al consenso“ genommen, also den Weg von der Anwendung von Gewalt zur Zustimmung durch Politik, Wirtschaft und Bevölkerung, den Weg zur „Gesellschaft als Komplize“. “Wir stehen heute einer Mafia in den Märkten gegenüber, die zu einer strukturellen Komponente des globalen Kapitalismus geworden ist. In Italien sperren wir weiterhin kleine und große Erpresser ein, was auf lokaler Ebene natürlich essentiell ist. Aber gleichzeitig wäre es wichtig zu begreifen, dass die eigentliche Schlacht auf der makro-politischen Ebene geschlagen wird.“

Wie gehen die Mafien in den Märkten vor?

Die Mafien verstehen sich heute als Service-Zentrum für Leute mit Geldproblemen: Ob es darum geht, eine Firma vor dem Aus zu retten, die Produktionskosten zu senken oder den Profit zu vergrößern (z.B. durch „kostengünstige“ Müllbeseitigung, durch gefälschte Rechnungen, durch eigens aus dem Nichts gestampfte Briefkastenfirmen) – um diese Bedürfnisse zu befriedigen, wendet man sich heute an die Mafia. Nachfrage nach Drogen, nach Prostituierten, nach billigen Arbeitskräften? Auch hier kann die Mafia helfen! Und dies gilt nicht nur für Italien, sondern weltweit: „Da sind die Millionen von neuen Reichen in China, die in Indien, in den Schwellenländern, die nicht nur einen Ferrari fahren, sondern überhaupt ein Leben wie im Westen führen wollen. Es gibt also weltweit eine ungeheure Nachfrage, und die am besten entwickelten Mafien haben sich in Agenturen für illegale Dienstleistungen und Güter verwandelt.“

Die Rolle Europas

Dass die Mafien ihre Aktivitäten ins europäische Ausland verlagert haben, lasse sich leicht erklären: Die Möglichkeiten Gewinne zu machen sind ungleich größer als in Italien und das Risiko einer Beschlagnahmung des Kapitals gehe gegen Null: „In den europäischen Staaten wurde gerade mal 1% des Gesamtumsatzes der Mafien beschlagnahmt. Außerdem finden sich die großen Steuerparadiese ebenfalls in Europa, denken wir nur an Malta oder die City of London.“

„Außerdem hat die EU 2014 festgelegt, dass für die Berechnung des Bruttoinlandsprodukts auch die Umsätze durch Drogenhandel und Prostitution hinzugerechnet werden müssen. Denn sie halten die Wirtschaft am Laufen. Das gilt nicht für die Umsätze durch Erpressungen, denn sie machen den Unternehmer ärmer, und das bedeutet einen Schaden für die europäische Wirtschaft.“ Er beklagt, dass es in Europa niemanden interessiere, ob an Geld Blut klebe. Und er behauptet, dass die Geldwäsche inzwischen überholt sei: „Die neuen Mafien in den Märkten wollen ihr Geld nicht mehr in den Banken verstecken, sie werden selber zu Banken. Man kauft beispielsweise kleine Banken im Osten, die dann in den großen Banken aufgehen, und so finden sie den Weg ins Top Management.“

Der Kapitalismus heute verhandle die Beziehung der Wirtschaft zur politischen Macht neu und diktiere der Politik ihre Agenda. Man brauche nur in den Nachrichten darauf zu achten, wie oft gesagt wird „Die Märkte brauchen, die Märkte verlangen, die Märkte fordern“. Und er fragt sich, wer denn diese Märkte seien, von denen ständig die Rede ist. Das seien etwa 200 Monopole, die über so viel Geld verfügten, dass sie den Zusammenbruch eines Landes herbeiführen, den Spread nach oben treiben und deshalb der Politik ihre Agenda diktieren können.

Abschließend zitiert Roberto Scarpinato einen einflussreichen Mafiaboss, den er in einem kanadischen Gefängnis vernommen hat. Der habe ihm Folgendes gesagt: „Sehen Sie, dottore, die Welt hat sich vollkommen verändert. Früher kontrollierte die Politik die Wirtschaft, heute diktiert die Wirtschaft der Politik die Agenda. Wir sind das schwarze Herz der Wirtschaft, aber auf jeden Fall sind wir – Wirtschaft.“

Roberto Scarpinato