England: Politik und Mafia

England und die Mafia: Einladung an Antimafiastaatsanwalt aus Palermo – aber Personenschutz wird ihm verweigert

Nino Di Matteo, Vertreter der Anklage im Prozess um die sog. „trattativa“ (Verhandlungen des italienischen Staates mit Cosa Nostra), wurde Anfang Mai von der Italian Society, von Al Jazeera und Cinema Italia UK an das King’s College nach London eingeladen, um dort einem internationalen Publikum die aktuelle Situation im Kampf gegen das globalisierte System der Mafien zu schildern.

Kurz darauf musste der italienische Staatsanwalt seinen Besuch absagen, weil in Großbritannien Personenschutz lediglich ausländischen Regierungsvertretern bei offiziellen Staatsbesuchen gewährt wird. In Italien jedoch hat Di Matteo den Schutz eines Staatsoberhauptes, denn Cosa Nostra hat mehrfach die Absicht bekundet, ihn aus dem Weg zu räumen, da er sich „zu weit vorgewagt“ habe.

Die Veranstaltung begann – ohne den Gast aus Palermo – mit der Projektion des Videos
A very Sicilian Justice“, in dem Nino Di Matteo, der Prozess zur „trattativa“ und die Hintergründe der Morddrohungen gegen ihn dokumentiert werden. Von Di Matteo konnte lediglich eine kurze Rede verlesen werden, an die sich Beiträge verschiedener Referenten und eine Diskussionsrunde anschlossen.

Die Weigerung, Di Matteo Personenschutz zu gewähren, wurde in Italien und Großbritannien von am Thema interessierten Kreisen indigniert zur Kenntnis genommen:

Saverio Lodato bemerkt, dass „die internationale Zusammenarbeit im Kampf gegen die Mafien, die so oft lautstark und wortreich von Politikern verkündet wird, doch sehr zu wünschen“ übrig lasse. Seine Kritik richtet sich auch gegen den italienischen Außenminister Angelino Alfano, der, so Lodato, gerne ein Nickerchen macht, wenn es darum geht, sich für das Thema Antimafia einzusetzen. Offensichtlich habe er nichts unternommen, um die britische Regierung von der Notwendigkeit des Personenschutzes für den gefährdeten Staatsanwalt zu überzeugen.

A Very Sicilian Justice: Taking on the Mafia

Toby Follet, Produzent des Dokumentarfilms „A very Sicilian Justice“, gibt seinem Kommentar den Titel „Ein Schweigen, das „very british“ ist“. Er wiederholt eingangs die von Lodato geäußerte Kritik: von wegen „internationale Zusammenarbeit“!

Dann gibt er weitere Hintergrundinformationen: Di Matteo war am selben Tag von einer Gruppe des englischen Parlaments eingeladen, um einen Vortrag zum Thema „Korruption und die internationale Zusammenarbeit im Kampf gegen die Mafien“ zu halten. Eingeladen waren Minister, Politiker, Lords, Ladies, Richter und Staatsanwälte und wichtige Regierungsvertreter. In der Debatte im Westminster Palace hätte außerdem der englische Minister für Sicherheit Ben Wallace seinen neuen Gesetzentwurf zum „Problem der organisierten Kriminalität und der Geldwäsche, unter besonderer Berücksichtigung der berüchtigten Offshore-Gerichtsbarkeit“ vorstellen sollen.

Es sei nicht bekannt, ob die Absage der Debatte am 3. Mai und die Weigerung, Di Matteo eine Eskorte zu gewähren, vom plötzlichen Beschluss des englischen Premiers, Theresa May, beeinflusst war, Neuwahlen für den 8. Juni anzukündigen (damit einher ging die Auflösung des Parlaments am Tag der Debatte im Parlament und der Veranstaltung am King`s College).

Die Absage der Parlamentsdebatte und die Tatsache, dass man auf Englands Straßen normalerweise keine Richter, Politiker oder Journalisten in Begleitung einer bewaffneten Eskorte sähe, könnten möglicherweise die Entscheidung der britischen Behörden mit erklären. Andererseits gehören „Mafia und Korruption“ nicht zu den Lieblingsthemen der englischen Regierung.

Die Londoner City mit ihrer Offshore-Rechtssprechung werden von Fachleuten für das wichtigste Zentrum weltweit für Geldwäsche angesehen. Der Gesetzesentwurf, den der Minister in der abgesetzten Debatte hätte präsentieren sollen, befasst sich vor allem mit den illegalen Geldströmen aus obskuren Quellen, die nach und durch London fließen. Abgesehen von dieser Gesetzesnovelle, so Follet, sei bisher nicht der mindeste Versuch der englischen Regierung um mehr Transparenz im Finanzsektor unternommen worden. Auch der Skandal um die multinationale Bank HSBC, mit deren Hilfe Gelder des mexikanischen Drogensyndikats Sinaloa gewaschen worden waren, hatte keine Konsequenzen für die Bank.

Es gebe ein Schweigen, das „very british“ sei, – in Italien heißt es „omertà“ – was die dunkle Seite des Finanzsektors angehe. In England bleibe man einfach bei der offiziellen Auffassung, dass Mafien und Geldwäsche nur ein Problem Italiens seien. Dass London ein Zentrum mafiöser Aktivitäten sei, davon wolle man nichts wissen. In den letzten 40, 50 Jahren hätten zahlreiche Mafia-Größen in London unbehelligt leben können.

Das neueste Beispiel? Massimo Carminati. Im Prozess „Mafia Capitale“ (Mafia in der Hauptstadt Rom) wird er beschuldigt, der Boss der in Rom tätigen Mafia zu sein. Die von den italienischen Presseorganen „L’Espresso“ und „Sole 24 Ore“ angestellten Ermittlungen hätten ergeben, dass er sich in den letzten 20 Jahren frei zwischen Rom und London bewegt hat, und dass das Zentrum seines Finanzimperiums tatsächlich die Londoner City sei. Verbittert bemerkt Follet, dass vermutlich die Manager der HSBC-Bank & company die Sektkorken knallen lassen und sich ins Fäustchen lachen, während einem gefährdeten Staatsanwalt wie Nino Di Matteo das Recht eines jeden freien Bürgers abgesprochen wird, sich in Sicherheit in einer europäischen Stadt bewegen zu können…
Un silenzio ‚very british‘

Der palermitanische Staatsanwalt Nino di Matteo mit Personenschützern:

 

Marilena Nardi
www.w-t-w.org/en/cartoon/marilena-nardi
www.marilenanardi.it

Und was lehrt uns das? Die Politik hat kein Interesse, das Problem Mafia-Geldwäsche-Korruption ernsthaft anzugehen, ob England, Italien oder Deutschland!

Dazu fällt mir ein Lied der italienischen Sängerin Mina ein: „Parole, parole, parole“ (Worte, Worte, nichts als Worte) oder das italienische Sprichwort: „Tra il dire e il fare c’è di mezzo il mare“ (Etwa: Zwischen Absichtserklärungen und den konkreten Taten erstreckt sich das Meer.)

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