Giovanni Falcones Lehren zum Kampf gegen die Mafia sind nach wie vor gültig

Nando dalla Chiesa*:
Auch 28 Jahre nach dem Attentat auf den Antimafiarichter Giovanni Falcone (23. Mai 1992), in dem auch seine Frau und drei Leibwächter getötet wurden, hält der Mailänder Professor die Lehren seines Vorbilds für entscheidend im Kampf gegen die Mafien.

*Nando dalla Chiesa hat an der „Statale“-Universität in Mailand den Lehrstuhl für die „Soziologie der OK“ aufgebaut, er unterrichtet auch im Ausland (u.a. in Berlin, Halle, Leipzig, in München und Stuttgart). In der vorlesungsfreien Zeit organisiert er die sog. „Università itinerante“ (=die Universität auf Reisen) und internationale Kongresse, die sich mit Aspekten des Kampfes gegen die OK befassen. Außerdem war er als Politiker tätig, er hat Bücher zum Thema veröffentlicht und ist Ehrenpräsident der größten italienischen Antimafia-Organisation Libera…Antimafiaduemila.com

 

 

 

 

 

 

 

Exzerpt

Falcones Erkenntnisse sind auch heute noch gültig. Er ist derjenige Antimafiarichter, der am gründlichsten das Phänomen Mafia studiert hat und seine Erkenntnisse der Allgemeinheit zur Verfügung gestellt hat, um konkrete Ergebnisse im Kampf gegen die Mafia zu erzielen. Man kann sie nachlesen in: Giovanni Falcone in collaborazione con Marcelle Padovani, Cose di Cosa Nostra, 1991, deutsch: Inside Mafia, 1991.

Die zwei am häufigsten zitierten Sätze Falcones sind: „Folge der Spur des Geldes“ und: „Die Mafia ist ein menschliches Phänomen. Sie hatte einen Anfang und wird auch ein Ende haben“.

„Folge der Spur des Geldes“: Dieses Prinzip hat Falcone zum ersten Mal im Prozess Spatola (palermitanischer Bauunternehmer und Mafioso) angewandt und mit diesen Beweisen eine Verurteilung erreicht (Vorher gab es in Mafia-Prozessen regelmäßig Freisprüche). Es ist klar, dies bedeutet, dass Richter und Staatsanwälte über eine Zusatz-Qualifikation verfügen müssen: Sie müssen in der Lage sein, dieser Spur zu folgen, müssen entsprechende Spezialkenntnisse haben.

Mafia heißt: Kontrolle des Territoriums, die Mafia ist also eine Form von Machtausübung, von Machtanspruch“. Falcone ist einer der wenigen, der die Mafia so definiert. Viele Mafia-Experten finden elegantere Formulierungen dafür, was Mafia ist. Allerdings, wer sich tatsächlich in die direkte Auseinandersetzung begeben hat, er denke da an Falcone, an Pio La Torre und an seinen Vater, der habe die Mafia als Form von Machtausübung beschrieben. Dies bedeutet, dass es nicht nur um Geld geht. Es geht um eine Aushöhlung der Gesellschaft, um bewusste und unbewusste Allianzen, die die Interessen der Mafia bedienen. Mafia ist ein Gesellschaftssystem, Ausdruck der Macht, die man in einem bestimmten Territorium besitzt. Primär ist da die Fähigkeit der Mafia, im eigenen Territorium durch die Beziehungen zu Personen in einer Machtposition illegale Macht auszuüben und Gewalt anzuwenden. Diese Herrschaft wird dann durch das Geld noch verstärkt, das sich die Mafia durch ihr Eindringen in die Wirtschaft angeeignet hat.

Die Mafia hatte einen Anfang und wird auch ein Ende haben.“ Dalla Chiesa überlegt, ob Falcone diesen Satz vielleicht gesagt hat, um anderen Mut zu machen, sich zu engagieren. Denn auf der gleichen Seite im Buch (s.o.) warnt der Antimafiarichter davor, die Bekämpfung der Mafia den folgenden Generationen zu überlassen. Veränderungen in der Kultur sind nicht ausreichend. Für einen Sieg über die Mafia muss man etwas tun, ist harte, beständige Arbeit nötig und totale Professionalität. Man weiß, die Mafiosi sind Profis – und Profis werden schwerlich von Dilettanten besiegt. Voller Einsatz wird verlangt. Denn auch die Mafiosi geben vollen Einsatz. Hinter den Zitaten Falcones stecken also komplexe Ideen, die die eigentlichen Lehren Falcones sind. Deshalb bemühe er sich auch, bei allem was er tue, die Denkweise Falcones, Falcones Konstruktion einer eigenen Disziplin, zu erklären. Es sei ihm ein wichtiges Anliegen, dass Falcones Ideen nicht auf einige wenige, aus dem Zusammenhang gerissene Sätze reduziert würden.

Eine Erfindung Falcones ist auch der Straftatbestand „Beihilfe zu Mafia-Aktivitäten“ (concorso esterno in associazione mafiosa). Dies wird gerne vergessen. Wenn all die Gewerbetreibenden, all die Unternehmer, Politiker, Journalisten usw. nicht ständig Unterstützung leisteten, könnte die Mafia ihre Ziele nicht erreichen. Es wäre fantastisch, wenn man endlich genau untersuchen würde, welche konkreten Hilfestellungen der Mafia von welchen Leuten systematisch zur Verfügung gestellt werden. Im genannten Buch von Falcone finden sich diese Forderungen nach harter Arbeit, nach absoluter Professionalität, die Forderung, dass Staatsanwälte adäquat ausgebildet und die Polizeikräfte auf höchstem Niveau geschult werden, wenn ein Staat Ernst machen will mit dem Kampf gegen die Mafia. Aber wie soll das gehen, so fragt er sich, wenn man in Italien ein vollständiges Jurastudium absolvieren kann, ohne dass ein einziges Mal das Wort Mafia fällt. Die Mafia bekämpft den Staat an allen Fronten, da könne man doch nicht so tun, als handle es sich bei diesem Kampf um ein Spiel. Wissen über die Mafia ist zentral, aber nicht jeder muss alles über die Mafia wissen. Es kann jedoch nicht sein, dass der Staat, die Gesellschaft, aber vor allem Leute in entsprechenden Positionen keine Ahnung von der Mafia haben. Nicht nur, weil sie Verantwortung für das Gelingen haben, sondern auch deswegen, weil sie in ihrer Funktion das Kollektiv gegen die Mafia verteidigen müssen.

Wenn man sich heute Leute ansehe, die sich von Amts wegen mit den Gesetzen, dem Recht befassen, müsse man sich oft sehr wundern über den Abgrund, der sich auftue zwischen dem, was Falcone vor 30 Jahren forderte, und dem tatsächlichen Verhalten dieser Leute. Das verbittere ihn doch ziemlich. Er, dalla Chiesa, habe sich ganz der Aufgabe gewidmet, die Bildungsinstitutionen zu Orten zu machen, an denen eine adäquate Ausbildung möglich sei, die mit dem Ausmaß der Gefahr durch die Mafien Schritt halte und dass das Thema nicht nur die Domäne der Juristen bleibe. Leider sei das Thema Mafia noch nicht einmal die Domäne der Juristen, denn in diesen Kreisen halte man das Studium der Mafia für nicht besonders elegant. Lieber befasse man sich damit, wie die bestehende Antimafia-Gesetzgebung entschärft werden könnte, als damit, welche neuen Gesetze für einen wirksamen Kampf gegen das organisierte Verbrechen gemacht werden müssten.

Denken können wie die Mafiosi“: Nur wenn man weiß, wie sich Mafiosi in bestimmten Situationen verhalten, ist man in der Lage, sie wirkungsvoll zu bekämpfen oder sogar vorherzusehen, was sie tun werden. So war es 2015 bei der Expo in Mailand möglich, vieles tatsächlich zu verhindern. So mache man es auch jetzt in der Corona-Krise, wenn man sich überlegt, wo die Mafien was tun werden und mit welchen Mitteln.

Die eigentliche Macht der Mafia liegt außerhalb der Mafia.“ Die meisten Helfer der Mafia, die selber nicht zur Mafia gehören, unterstützen nicht direkt deren Aktivitäten, aber sie fördern sie dadurch, dass sie die Gegner der Mafia bekriegen. Ein aktuelles Beispiel: Ein Antimafia-Staatsanwalt fordert, dass die medizinischen Gutachten, mit deren Hilfe vor kurzem zig Hochsicherheitshäftlinge aus dem Gefängnis in den Hausarrest entlassen wurden, genauestens geprüft werden müssten. Im Fernsehen kommentiert dies ein Intellektueller und sagt, die Antimafia sei ja schlimmer, gefährlicher als die Mafia. Eine solche Aussage ist mehr als eine Provokation. Ein Intellektueller kennt die Wirkung von Worten, er weiß haargenau, was er sagt. Und egal welche persönlichen Eitelkeiten ihn leiten, er weiß genauso gut, dass eine solch spektakuläre, skandalöse Äußerung auf jeden Fall ein großes Geschenk für die Mafia ist. Dieses Beispiel verweist auf ein großes Problem: Die Art und Weise wie das Fernsehen, ja wie die ganze Gesellschaft mit verschiedenen Meinungen umgeht, wie sie bestimmte Meinungen unterstützt und andere einfach ignoriert. Das sei schon zu Falcones Zeit so gewesen. Den größten Raum bekommen stets die Kritiker. Auch heute noch sei das so und es lasse erkennen, wie in Italien der Kampf gegen die Mafia geführt werde.

Er wiederholt: Die eigentliche Macht der Mafia liegt außerhalb der Mafia. Ja, das stimmt. Man kann den Kampf gegen die Mafia nicht an einzelne Personen delegieren, man muss auch genau hinsehen, woher die Unterstützung aus der Gesellschaft kommt. Wenn diese Allianzen nicht wären, hätte die Mafia keine Chance.