Italien: „Die `Ndrangheta ist überall“

Rosy Bindi, Präsidentin der parlamentarischen Antimafia-Kommission, und Franco Roberti, Nationaler Antimafia-Staatsanwalt, zugleich verantwortlich für die Direzione Nazionale Antimafia (DNA), stellten am 22. Juni ihren Jahresbericht vor: Die `Ndrangheta ist überall in Italien zu finden, d.h. in den empfindlichen Positionen von Politik, Öffentlicher Verwaltung und Wirtschaft. Auf diese Weise kann die kalabrische Mafia inzwischen die staatlichen Investitionen steuern.

Rosy Bindi con il procuratore nazionale Antimafia Franco Roberti (© Ansa)

(Quelle: Artikel Repubblica)

 

 

Hier einige interessante Ergebnisse des Jahresberichts:

  1. Gesamtsituation:

Trotz zahlreicher Festnahmen und vieler Mafia-Prozesse im Jahre 2016 geht es den Mafien in Italien sehr gut, vor allem der `Ndrangheta. Man kann höchstens von einigen Irritationen im Innern der Mafien sprechen, wenn es gilt, die durch Festnahmen und Verurteilungen entstandenen Lücken in der jeweiligen Organisation zu schließen oder sich an neue Erfordernisse des Marktes anzupassen. Ausnahme ist die Stadt Neapel, in der die „Lücken“ zu blutigen Kriegen zwischen den Clans und zur Machtübernahme durch jugendliche Bosse geführt haben. Man beobachtet eine neue Strategie, sich der Kontrolle des Territoriums zu versichern, die aber genauso wirksam ist wie die alte (s.u. 5.)

  1. Die Mafia in der Politik:

Die Mafien sind dabei, durch die Strategie der Gewinnung von Komplizen im Staat (collusione) und der Korruption sich eine Position im Staat zu erarbeiten, von der aus sie das Schicksal und die Prozesse in der Wirtschaft bestimmen können. Damit können sie mafiöse Firmen und solche, die mit ihnen zusammenarbeiten, begünstigen und die anderen vom freien Wettbewerb ausschließen. Durch die richtigen Komplizen in der Politik können sie den Einsatz von Steuergeldern steuern. Es geht nicht mehr darum, durch Bezahlung von Bestechungsgeldern an den öffentlichen Ausschreibungen lediglich teilzunehmen, jetzt versucht man, schon bei der Konzeption von Projekten mitzuarbeiten, um sie in eine bestimmte Richtung zu lenken.

  1. Vorgehen:

Die Anwendung von Gewalt ist zur ultima ratio geworden, da sie Aufmerksamkeit erregt und die Zustimmung in der Bevölkerung mindert. Jetzt versuchen die Mafien, die Herrschaft über ein bestimmtes Gebiet zu erreichen, sich Positionen in der Öffentlichen Verwaltung anzueignen, die Ausschreibung von staatlichen Bauaufträgen zu bestimmen, ganze Sektoren der Wirtschaft zu kontrollieren, indem sie sich ihre Verhandlungspartner gefügig machen. Dies gelingt ihnen, denn die klassische Mafiamethode der Gewaltanwendung und der Einschüchterung ist im kollektiven Bewusstsein ständig präsent.

  1. Aktualisierung der Antimafia-Gesetzgebung

Da die bisherigen Antimafia-Gesetze Bezug nehmen auf die traditionellen Methoden – Einschüchterung und Einsatz von Gewalt – die Mafien heute aber möglichst um Unsichtbarkeit bemüht sind, müssen die bestehenden Antimafia-Gesetze an das veränderte Vorgehen angepasst werden.

  1. Camorra: Die Stadt Neapel und vor allem die Altstadt sind in der Hand von sog. „Baby-Camorristi“, die nach neuen Regeln versuchen sich durchzusetzen und nicht die geringsten Bedenken haben, auf Gegner und Unbeteiligte zu schießen. In der Provinz jedoch ist der allgemeine Italientrend zu beobachten: Kein Blutvergießen, lieber selber entscheidende Positionen einnehmen oder Komplizen in Politik und öffentlicher Verwaltung gewinnen. Die Bosse sind dort keine „Generäle“ mehr, die über ein Heer von „Soldaten“ befehlen, sondern Geschäftsleute.
  2. Cosa Nostra: Trotz verschiedener Schwierigkeiten ist es der sizilianischen Mafia gelungen, sich weiter in alle Sektoren der Wirtschaft und Finanzwelt einzuschleusen. Durch weitgehenden Verzicht auf Gewalt und Machtkämpfe zwischen einzelnen Familien, durch das Einhalten der überkommenen Regeln ist es ihr gelungen, ihre Position auf der Insel zu konsolidieren und sich die Zustimmung in der Bevölkerung zu erhalten. Da nun zahlreiche Mafiosi ihre Strafe abgesessen haben und da sie in der Regel nach der Freilassung ihre kriminellen Aktivitäten wieder aufnehmen, muss der Mafia-Paragraph 416 auch an diese Situation angepasst werden. – Positiv zu vermerken ist, dass in Palermo Cosa Nostra sichtbar den Rückhalt in der Bevölkerung verliert. Außerdem ist die Zahl der Anzeigen bei der Polizei deutlich angestiegen.
  3. `Ndrangheta: Sie ist die Mafia, der es am besten geht. Unglaubliche Gewinne sind ihr möglich, weil sie Politik, Verwaltung und Wirtschaft ganz durchdringt und weil es ihr gelungen ist, sich in die großen Geldströme auf regionaler, nationaler und europäischer Ebene einzuklinken. Auch in Mittel- und Norditalien hat sie sich einen festen Stand erobert. An den sog. „großen Bauwerken“ verdient die kalabrische Mafia ebenfalls mit: 2015 bei der Expo in Mailand, jetzt bei den Baustellen der „TAV“-Strecken (=Treni di Alta Velocità: Hochgeschwindigkeitszüge), und bei der Konstruktion von Anlegeplätzen in den verschiedenen Häfen Italiens. Die `Ndrangheta ist in Italien zu einer Gefahr für die Demokratie geworden. Dies zeigt u.a. die Entdeckung eines strategischen Führungsgremiums der `Ndrangheta` durch kalabrische Staatsanwälte. Zu ihm gehören laut Staatsanwaltschaft 1. ein ehemaliger Parlamentarier, Freimaurer, mit langjährigen Verbindungen zur subversiven Rechten,2. ein Rechtsanwalt mit Sitz in einem Kommunalparlament, der mit einem der gefährlichsten Clans der `Ndrangheta verwandt ist, 3. ein wichtiger Abteilungsleiter in der kalabrischen Verwaltung, 4. ein ehemaliger Staatssekretär und 5. ein Mitglied des römischen Senats, für dessen Festnahme der Senat die Immunität aufgehoben hat. Dieses Gremium hat die Wahlen in Kalabrien (2002 bis heute) bestimmt. Es ging dabei nicht um den klassischen Kauf von Wählerstimmen, sondern um eine strategische Planung, welche Kandidaten, welche politischen Gruppierungen geeignet seien, der kriminellen Organisation Staatsaufträge und Aufträge und Arbeiten jeder Art zu garantieren. Die „Santa“ (die Heilige), so der Name dieses neuen Führungsgremiums, ist somit in der Lage, zunächst auf lokaler Ebene zu bestimmen, wer für welche Position gewählt werden soll, aber wie das Beispiel des Senators zeigt, reicht ihr Einfluss auch auf nationale und sogar bis auf die europäische Ebene.

Außer in nahezu allen Regionen Italiens ist die `Ndrangheta in verschiedenen europäischen Staaten, in den USA, Kanada und in Australien aktiv. Darüber hinaus pflegt sie beste Beziehungen zu den kriminellen Organisationen in Mittel- und Südamerika. Im Kokainhandel hat sie die absolute Vormachtstellung in Europa.

“Es ging ihm hervorragend, dann kam aber der Typ im Fernsehen, der gesagt hat: „So wie wir die Mafia besiegt haben, so werden wir auch den Terrorismus besiegen.“

www.vignetteagj.blogspot.de/2015/11/

Quellen:
Repubblica.it
Antimafiaduemila.com
Huffingtonpost.it

 
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