Italien: Versuch, einen Mafia-Prozess unter den Teppich zu kehren – aber weshalb?

Der seit Mai 2013 in Palermo laufende Prozess zur „Trattativa“ ist am 14. Dezember 2017 in seine Schlussphase getreten: Die die Anklage vertretenden Staatsanwälte halten ihre Plädoyers – und wer informiert darüber?

Ausführliche Artikel erscheinen in der Internetzeitung Antimafiaduemila und in „il fatto quotidiano“, und von Radio Radicale werden die Gerichtssitzungen stets live übertragen. Die Lokalausgabe Palermo der „Repubblica“, eine Zeitung, für die hervorragende Mafia-Experten arbeiten, zitiert immerhin wiederholt zentrale Aussagen der Anklage.

Gibt man den Namen des „Corriere della Sera“ und das entsprechende Thema ein, erscheint genau ein Artikel, der vom 14. Dezember, als mit dem ersten Plädoyer von Nino di Matteo die Schlussphase des Prozesses begann. Mit dem Namen „La Stampa“ liefert das Netz ebenfalls nur einen Artikel zum Thema: Der Boss Provenzano habe den Boss Riina an die Carabinieri verkauft.

Weitere Stichproben? Sizilien? Il giornale di Sicilia? Der einzige Artikel zum Thema ist vom Dezember 2014; Und die andere große Zeitung in Sizilien “La Sicilia” – nichts, oder habe ich da etwas übersehen?

Die Internet-Zeitung Linformazione.eu spricht von einem „gut versteckten Prozess“, der so entsetzlich unbequem sei für das Establishment, weil sich neben den Superbossen der Cosa Nostra Politiker, darunter Berlusconis engster Mitarbeiter und Freund Marcello Dell’Utri, und hohe Ränge der Carabinieri wegen „Angriffs auf ein staatliches Gremium“ verantworten müssen. Gemeint ist mit dieser juristischen Formulierung*, dass 1992 nach der Bestätigung der Urteile des Maxiprozesses gegen Cosa Nostra und nach der Ermordung des sizilianischen Politikers Salvo Lima** im März, italienische Staatsvertreter durch Vermittlung einiger Carabinieri Verhandlungen mit der Cosa Nostra und Totò Riina aufgenommen haben, angeblich mit dem Ziel, die Phase der blutigen Attentate der Cosa Nostra zu beenden.

Auch der jetzige Bürgermeister von Neapel, Luigi De Magistris, (er hatte als Staatsanwalt mehrere Ermittlungsverfahren wegen Korruption geleitet, die ihm dann nach und nach entzogen wurden, so dass er 2009 seine Tätigkeit als Staatsanwalt aufkündigte und in die Politik ging) meldet sich zu diesem doch bemerkenswerten Schweigen der Medien zu Wort: „Es gibt ein echtes System, das noch sehr stark ist in unserem Land und nicht erträgt, dass man zur Wahrheit vordringt.“ In seinem Interview, das er dem „fatto quotidiano“ gab, meint er, die Italiener dürften ja nichts über den Prozess wissen, weil er sich mit der Verantwortung „im Herzen des Staates“ befasse. Nachgefragt, was er mit dem „echten System“ meine, verweist er darauf, dass zum ersten Mal Anfang der achtziger Jahre der Prozess über die Geheimloge P2 von Licio Gelli (in die auch Berlusconi eingeschrieben war) diese Art kriminelles System rekonstruiert habe. Natürlich habe seitdem das System andere Formen, anderen Methoden, aber das Ziel sei unverändert das Gleiche: die Macht. Es handle sich um ein System, das im Innern des Staates die Fäden ziehe, und das eine Allianz aus Vertretern der Institutionen, aus Hochfinanz und organisierter Kriminalität bilde.

Als verantwortlich für die verschiedenen Versuche, den Prozess zu verhindern oder wenigstens an eine andere Staatsanwaltschaft zu verlegen, nennt De Magistris den ehemaligen Staatspräsidenten Giorgio Napolitano (der zu Zeiten der Attentate Parlamentspräsident war) und den im Prozess wegen Falschaussage angeklagten damaligen Innenminister Nicola Mancino. Beide Politiker haben übrigens auch eine entscheidende Rolle dabei gespielt, als man De Magistris die Korruptionsermittlungen in Kalabrien und der Basilicata weggenommen hatte. Das Interview beendet De Magistris mit dem Appell, aufmerksam zu beobachten, was sich im jetzigen Wahlkampf abspiele: Man spreche nirgends von Mafia, „entweder weil man einfach gerade nicht daran denkt, oder weil einem das Wissen fehlt. Auch wer sich als Bewegung präsentiert, die etwas ändern will, begnügt sich mit Parolen. In Wahrheit sind die Mafien in das Mark des Staates eingedrungen. Du brauchst deshalb einen eisernen Willen, sie zu bekämpfen, und vor allem: du darfst nicht erpressbar sein!“

*Artikel 338 des italienischen Strafgesetzbuches
**Salvo Lima, Politiker der Democrazia Cristiana und Mitglied der Mafia, war Giulio Andreottis Verbindungsmann in Sizilien
antimafiaduemila

Die Strippenzieher

Wer mehr wissen möchte über den „gut versteckten Prozess“:
Palermo Connection und kein Ende
Solidaritaet mit Nino di Matteo

Und der Dokumentarfilm: (englisch-italienisch)

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