Mafia und Corona-Krise IV: Mafiabosse können nach Hause gehen

 

In Italien sind in letzter Zeit gefährliche Mafiabosse, mehrere Schwerkriminelle und Kriminelle aus dem Heer der Mafia-Soldaten in den Hausarrest entlassen worden. Verwunderlich nur, dass erst seit einer Fernsehsendung vom 3. Mai, in der dies Thema war (Non è l’Arena, auf La7), die Wogen auch außerhalb der wenigen Medien, die sich traditionell mit dem Thema Mafia befassen, hochschlagen. Jetzt sucht man nach Schuldigen.

  1. bis 9. März 2020: Ganz Italien, das von der Corona-Pandemie besonders stark betroffen ist, wird von Revolten in 22 Gefängnissen erschüttert. Die Aufstände fordern zahlreiche Opfer, darunter auch 12 Tote. Und da die Rebellionen am gleichen Tag, zur gleichen Stunde losgehen und auch zeitgleich wieder enden, und auf Grund weiterer merkwürdiger Vorkommnisse gehen die Ermittler von einer gemeinsamen Regie aus dem Untergrund aus: Die Mafia nutzt die Pandemie, um für ihre Häftlinge Verbesserungen oder gar die Freiheit zu erreichen…..Ilfattoquotidiano.it
  2. April 2020: Nachdem schon mehrere Häftlinge „wegen Corona“ in den Hausarrest entlassen wurden, entscheidet der zuständige Richter, dass der Camorra-Boss Pasquale Zagaria, der in Sassari in Isolationshaft einsitzt (der sog. 41bis, vorgesehen für Mafiabosse, für Terroristen und Pädophile), in den Hausarrest entlassen wird. Der Richter hatte immer wieder darum gebeten, für den kranken Boss einen alternativen Gefängnisplatz zu den Bedingungen des 41 bis zu finden. Doch von der zuständigen Behörde, dem Dap (die nationale Gefängnisverwaltung), kam im Laufe eines ganzen Monats keine entsprechende Antwort. So entschied sich der Richter für den Hausarrest. Übrigens: Außer Zagaria dürfen auch andere Häftlinge nach Hause. Die Meldungen überschlagen sich, Vertreter der Antimafia kritisieren, der Staat erwecke den Anschein, sich der Erpressung der Mafia durch die Gefängnis-Revolten zu fügen.
  3. April 2020: Der Chef des Dap tritt zurück. Der Justiziminister Bonafede installiert an der Spitze der Behörde zwei Antimafia-Richter.
  1. Mai 2020: Der Journalist Massimo Giletti lädt in seine Sendung hochrangige Experten ein, um eine sachgerechte Rekonstruktion der Ereignisse zu ermöglichen: Warum werden gefährliche Schwerkriminelle aus dem 41bis entlassen und in Hausarrest geschickt? Im Lauf der Sendung gelangt man zu dem Ergebnis, dass bisher 3 Häftlinge, die zu den Bedingungen des 41 bis einsaßen, in den Hausarrest entlassen wurden. Aber auf dem Schreibtisch des Leiters des Dap bzw. des Ministers liege ein Stapel von knapp 300 Anträgen auf Umwandlung der Haftstrafe in Hausarrest. Man diskutiert über die Frage, weshalb der Justizminister sich nicht rechtzeitig um spezielle Maßnahmen für die italienischen Gefängnisse in Zeiten der Pandemie gekümmert habe, weshalb der Leiter des Dap zurückgetreten ist, warum überhaupt jemand zum Chef dieser Behörde gemacht wurde, der trotz seiner persönlichen Meriten nicht geeignet war, die besonderen Probleme mit den gefährlichen Mafiabossen zu händeln.

Der ehemalige Staatsanwalt De Magistris erwähnt, dass der Justizminister 2018 den Richter Nino Di Matteo gefragt hatte, ob er nicht die Leitung des Dap übernehmen oder eine Position im Justizministerium haben wolle – ein Posten, den als erster Giovanni Falcone eingenommen hatte. Er solle zwischen diesen beiden Optionen wählen. Daraufhin meldet sich Di Matteo telefonisch in der Sendung und rekonstruiert, wie es kam, dass er eben doch nicht Chef der Gefangenenverwaltung geworden ist: Als nämlich bekannt wurde, dass möglicherweise Di Matteo zum Leiter des Dap ernannt werde, meldete die Gefängnispolizei, dass Mafia-Bosse sich von einem Stockwerk zum anderen zugerufen hätten, „Der scharfe Hund, wenn der kommt, dann ist es aus mit uns!“ Sie hätten mit Streik und Revolten gedroht. Und als Di Matteo am nächsten Tag dem Minister mitteilen wollte, er akzeptiere die Aufgabe im Dap, habe er zur Antwort bekommen, man habe es sich anders überlegt, die Aufgabe im Ministerium sei doch viel interessanter. Im Fernsehstudio streitet man nun über die Frage, ob der Protest der Mafiosi Einfluss auf die Entscheidung des Ministers gehabt haben könnte, einen Rückzieher zu machen. Nun meldet sich auch der Minister telefonisch zu Wort. Bonafede weicht aus, unterstreicht mit vielen Worten, dass dies ein konstruierter Zusammenhang, eine persönliche Wahrnehmung Di Matteos sei, aber kein Fakt. Aber weshalb er dann Di Matteo abgesagt hat, darauf gibt er keine Antwort.

www.la7.it (das Thema der aus dem Gefängnis entlassenen Häftlinge beginnt nach 1 Stunde und 10 Minuten)

  1. Mai 2020: Der Justiziminister Bonafede verkündet: „Die Unabhängigkeit der für die Haftbedingungen zuständigen Richter ist heilig, sie wenden geltendes Gesetz an. Aber die Gesetze machen wir. Der Hausarrest wurde wegen der Krise im Gesundheitswesen zugestanden. Aber jetzt hat sich die Lage geändert.“ Er kündigt damit an, an einem Gesetz zu arbeiten, das die entlassenen Häftlinge wieder in die Gefängnisse zurückbeordern soll. – Die Opposition stellt ein Misstrauensvotum gegen den Minister, über das am 13. Mai abgestimmt werden wird. Il fatto berichtet, es seien 456 Mafiabosse, die einen Antrag gestellt haben, wegen der Coronakrise in Hausarrest gehen zu dürfen.