40 Jahre Kampf gegen die Mafia – zwei Aktivisten im Dialog

Elena Ciccarello, die für das neue Medium der Antimafia-Organisation Libera „lavialibera.libera.it“ arbeitet, hat Letizia Battaglia, die über die Grenzen Italiens hinaus bekannte Mafia-Fotografin, und Leoluca Orlando, der im Augenblick zum fünften Mal Bürgermeister in Palermo ist, gebeten, sich zu einigen Aspekten des Kampfes gegen die Mafia zu äußern….Antimafiaduemila.com

  1. Die achtziger Jahre – der Frühling von Palermo

Letizia Battaglia beschreibt die Anfänge ihrer Beziehung zu Leoluca Orlando, als sie bemerkte, Fotografin zu sein genügte ihr nicht mehr, sie wollte mehr tun. Und auch wenn Orlando zur Democrazia Cristiana gehörte, was ihr überhaupt nicht behagte, so spürte sie eine gewisse Affinität. Er ermunterte sie, für den Stadtrat zu kandidieren. Hier schaltet sich Orlando ein: Das Gesicht der Mafia in den achtziger Jahren war das Gesicht des Bürgermeisters und des Regierungschefs Giulio Andreotti. Deshalb hätten ihn die Mafia-Freunde in seiner Partei, angefangen vom Premier, als Kommunisten bezeichnet, als gottlos, und das nur weil er den Kampf gegen die Mafia für eine Priorität hielt. Letizia erinnert die achtziger Jahre als „die schönste Zeit“ ihres Lebens, denn man konnte endlich etwas tun, man konnte anfangen, die Verhältnisse zu ändern, und was man machte, machte man mit Liebe, was ihr Gesprächspartner bestätigt: Man war sich in Palermo mit der Mehrheit der Bevölkerung einig, was zu tun war, auch wenn die Leute ihre Zustimmung aus Angst nicht offen äußerten.

  1. Die Skandale in der Antimafia

Der Skandal in der sizilianischen Unternehmervereinigung Confindustria, so Orlando, ist ein Fall von Überheblichkeit. Genau die Überheblichkeit, die Leonardo Sciascia schon Jahre zuvor kritisiert hatte, was der Antimafia einen immensen Schaden zugefügt hat (1). Er wisse nicht, was er über solche Leute sagen solle – und er nennt weitere Beispiele – über Leute, die eine Region in Geiselhaft genommen haben, und das im Namen des Kampfes gegen die Mafia! Aber die Skandale seien notwendig gewesen. Sie hätten die Antimafia von der Notwendigkeit befreit, mit berühmten Vertretern für ihre Ziele zu werben. Früher seien sie notwendig gewesen, früher, d.h. in einer Zeit, wo Antimafia-Aktivisten isoliert waren, wo man auf eine Piazza ging, um eine Wahlversammlung abzuhalten – und man stand da ganz allein. Aber die „Bewegung der Leintücher“ (2), die Menschenketten, die Empörung in der Bevölkerung und die Arbeit in den Schulen hätten dazu geführt, dass diese Zeit zu Ende gegangen ist. Wenn sich heute, so Orlando, jemand hinstellt und sagt, ich bin ein wichtiger Vertreter der Antimafia, dann handelt es sich um einen Betrüger.

  1. In Palermo regiert heute nicht mehr die Mafia.

Orlando verweist stolz darauf, dass im Rathaus heute kein Mafioso mehr regiert. Auch wenn das komisch klinge, aber man müsse sich bei der Mafia bedanken: Dank ihr sei das Heer der Blinden, der Tauben, der Stummen richtiggehend dezimiert worden. Die Mafia-Attentate hätten die ganze Stadt gezwungen, besser zu werden. Und Letizia erinnert sich, dass man sich früher nachts in Palermo nicht auf die Straße getraut habe. Jetzt könne jemand einwenden, das sei doch ein unbedeutendes Detail. Sie jedoch finde, das sei eine große Sache: Die Leute hätten sich ein bisschen geändert, und die Leute spürten, dass sich in Palermo etwas geändert hat. Das heiße, jetzt gebe es ein bisschen Ruhe und Frieden in Palermo. Und das sei das Ergebnis eines langen Weges, der sich ganz langsam entwickelt habe. Und es sei möglich geworden, weil einige Personen ihr Leben geopfert haben, weil es Politiker gab, die sich engagiert haben, weil es einen Bürgermeister gab – und sie scherzt: Ich weiß nicht, weshalb er immer noch auf dem Bürgermeisterstuhl sitzt – und ihr fällt ein Beispiel ein, wie Orlando in seinen ersten Jahren als Bürgermeister versucht hat, in die dunklen Straßen der Stadt etwas Leben zu bringen: Er bezahlte Musiker, die vor den dunklen und leeren Restaurants im Zentrum auftreten mussten, um die Aufmerksamkeit der Leute auf sich zu ziehen. So etwas, so schließt sie, vergisst man nicht. Und Orlando strahlt: Wenn du heute in ein Lokal in Palermo gehst, dann fühlst du dich nicht mehr als ein „insulso sgradito“ – ein unwillkommener Idiot.

  1. Was bedeutet es heute, Antimafioso zu sein?

Orlando antwortet wie aus der Pistole geschossen: „Zu wissen, dass zur Mafia zu gehören keine Vorteile verschafft“ – und Battaglia: „Es bedeutet, seine Pflicht zu tun, hart für das zu arbeiten, was du tust und dabei deinen Enthusiasmus nicht zu verlieren. Wir und viele, viele andere, wir sind glücklich darüber, dass wir uns weiter engagieren können. Diese Arbeit bedeutet Schönheit. Sie ist die Art und Weise, wie wir unsere Schönheit ausdrücken können. Orlando: Für den 16. Dezember 2020 plane er die 2. Konvention von Palermo mit den Vereinten Nationen (3). Der Focus dieser Konferenz liege dann aber nicht mehr auf dem juristischen Aspekt des Problems, sondern auf den Interessen der Zivilgesellschaft. Denn auf Grund der großen Veränderungen in der Welt seit der 1. Antimafia-Konvention von Palermo im Jahre 2000 sei der Aspekt der Zivilgesellschaft viel wichtiger geworden als Probleme im Bereich der Justiz. Mit dieser neuen Antimafia-Konvention wolle man sozusagen das zweite Rad des Sizilianischen Karrens begründen: das erste Rad sei das der Legalität, das zweite das der Rechte.

  1. Mission beendet, aber nicht vollendet

Letizia: Wenn ich an die Jahre des Kampfes denke, kann ich nur sagen: Sie waren wunderbar! Wunderbar, weil kämpfen können ein Luxus ist. Orlando und ich, wir haben diesen Luxus gehabt, und wir haben für Palermo etwas erreicht, was bleibt. Orlando: ich will das zusammenfassen: Wenn ich heute Nacht den Löffel abgebe, dann sterbe ich glücklich. Wir sind diesen langen Weg gegangen, vom Anfang bis heute und wir können sagen: Mission beendet, aber nicht vollendet. Und Letizia bestätigt – nein, sie ist nie vollendet – aber das mit dem Sterben lässt du schön sein!

  1. Sciascia kritisierte 1987 in einem Artikel des Corriere della Sera die Methoden der sog. Profi-Antimafia-Aktivisten und nannte als Beispiele auch Paolo Borsellino und Leoluca Orlando. Dadurch entstand ein großer Schaden für die italienische Antimafia-Bewegung, weil die zahlreichen Kritiker auf die damalige Antimafia-Autorität, L. Sciascia, verweisen konnten.
  2. Die Bewegung der Leintücher gründete sich in Palermo nach den beiden Attentaten auf Giovanni Falcone und Paolo Borsellino.
  3. Die erste Palermo Konvention wurde am 15. November 2000 beschlossen und ist von 147 Nationen unterzeichnet worden.

Ein Leintuch gegen die Mafia: „Die Mafia fürchtet die Schule mehr als die Justiz“