Unternehmer in Kalabrien: Eine Mafia-Erpressung anzuzeigen ist gefährlich

Die Razzia Helianthus gegen den `ndrangheta-Clan Labate, Spitzname Ti mangiu (Ich fress dich), der ein Stadtviertel von Reggio Calabria völlig beherrscht, war nach 8 Jahren Ermittlungen möglich geworden, da zu den Abhörmaßnahmen, zu der Auswertung von Überwachungskameras und zu den Aussagen von Kronzeugen auch Anzeigen von lokalen Bauunternehmern kamen.

Die Staatsanwaltschaft Reggio ordnete Personenschutz für die Unternehmer an, die die Erpressungen durch den Clan angezeigt hatten. In der Pressekonferenz anlässlich der Razzia betonte der Staatsanwalt Giovanni Bombardieri, dass die Unternehmer, die schon jahrelang Opfer des `ndrangheta-Clans seien, jetzt entschlossen seien, einen neuen Schritt zu wagen und die Erpresser anzuzeigen: Diese Leute „müssen wissen, dass wir da sind, dass der Staat auf ihrer Seite ist.“

Im Artikel des fatto quotidiano werden Aussagen aus den Vernehmungen von Unternehmern zitiert, hier zwei Beispiele:

Der Bauunternehmer Francesco Presto weigert sich anfangs, auch nur die kleinste Aussage vor dem Staatsanwalt zu machen, er scheint vollkommen terrorisiert von der Idee, den Namen des `ndrangheta-Bosses Pietro Labate auch nur auszusprechen. „Dottore, wenn ich ihnen sage, dass ich Probleme hatte, dann bin ich morgen tot! Die da sind total verrückt, Dottore, die haben nichts zu verlieren, wissen Sie, da kommen wir nie mehr nach Hause!“ Der Staatsanwalt versucht weiter, ihn davon zu überzeugen, dass er der Staatsanwaltschaft vertrauen könne: „Sie müssen sich wirklich keine Sorgen machen. Unser Interesse ist, dass Sie in Reggio bleiben und dass Sie weiter in Reggio arbeiten!“ Dann, bevor Presto endlich seine Aussage machen will, legt er dem Staatsanwalt noch das Wohl und das Leben seiner Familie ans Herz und beginnt mit Tränen in den Augen seinen Bericht:

Seine Firma wollte in dem vom Clan Labate kontrollierten Viertel von Reggio einen Häuserblock errichten. Unmittelbar nach Einrichtung der Baustelle taucht dort der Boss Pietro Labate in Begleitung eines zweiten Manns auf und eröffnet das Gespräch mit Beschimpfungen und Beleidigungen. „Sie haben mir gesagt, dass ich in ihr Revier eingedrungen sei, ich hätte vorher bei ihnen um Erlaubnis fragen müssen, dass ich keine Ahnung hätte, was sich gehört. Habt Ihr verstanden, was die mir gesagt haben? Wenn jemand arbeiten möchte, muss er erst bei denen um Erlaubnis fragen, habt Ihr das verstanden? So also ist das, ich muss die zuerst um Erlaubnis fragen? Dass die dort verfügbare Arbeit ihnen gehöre, dass die mich nichts angehe, dass sie als erste da waren. Da habe ich ihnen gesagt, Entschuldigung, habe ich euch etwa angeboten für mich zu arbeiten? Da antwortet der: Du, du … du Flegel, halt einfach den Mund, du schuldest uns jetzt 200 000 Euro, egal ob du da mit den Arbeiten weitermachst oder nicht!“

Ein anderer Unternehmer behauptet zunächst, was sein Kompagnon vor dem Staatsanwalt ausgesagt habe, stimme überhaupt nicht: „Die Labate haben nie Geld von uns verlangt.“ Doch nach einer Weile gesteht er, sein Kompagnon habe einmal zu ihm gesagt: „Wenn wir hier was aufziehen, dann sind wir sicherlich bald gezwungen, jemandem einen Kaffee auszugeben.“ Mit dem Kaffee ist natürlich das Schutzgeld gemeint. Und dann gibt er zu „Wir haben den Ti mangiu 20 000 Euro gegeben… Dottore, jetzt habe ich hier was wie einen Knoten… In Wahrheit… Ihre Forderung war noch höher, 30 000 Euro waren das. Seit dieser Zeit zittere ich nur noch. Morgens habe ich Angst, aus dem Haus zu gehen. Bevor ich das Haus verlasse, gehe ich zur Balkontür und schaue mir den Wagen vor dem Haus an, nachts wache ich auf, weil ich gedacht habe: Zu wem kommen die? Zu mir. Dottore, ich sage ihnen ganz ehrlich, mit dem Herz in der Hand, es sind jetzt zwei Monate, dass ich praktisch keine Nacht mehr schlafe.“

Die Ermittlungsakten des Einsatzkommandos in Reggio dokumentieren, wie die Schutzgelderpressung in Reggio funktioniert: In den abgehörten Gesprächen wiederholen sich Sätze wie „Was machst du hier? Was erlaubst du dir? Hier machst du, was ich dir sage. Hier macht keiner was, weder du noch Gott Vater persönlich!“ Ein Staatsanwalt meint: Wenn man in Reggio einen Stein von seinem Platz bewegen oder ein Geschäft eröffnen oder auch nur einen Atemzug machen will, braucht man die Erlaubnis der Labate. Und ein weiterer Bauunternehmer ergänzt: „Eine Baufirma wird sofort erpresst, wenn sie eine Baustelle anlegt. Das ist hier leider übliche Praxis. Es schafft praktisch niemand, einem Erpressungsversuch oder einer wirklichen Erpressung zu entkommen. Die meisten Firmen sind von Vergeltungsmaßnahmen betroffen oder riskieren sogar ihr Leben.“

„Von wegen den Mund halten! Man muss laut schreien!“ (Zitat von Libero Grassi, Unternehmer aus Palermo, der von der sizilianischen Mafia umgebracht wurde, weil er sich weigerte, Schutzgeld zu zahlen)

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„Geschlossen wegen Schutzgelderpressung“ 

Palermo.gds.it/articoli/cronaca/2018/05/16/soldi-per-le-famiglie-dei-carcerati-due-arresti-a-palermo-ma-i-commercianti-non-confermano-le-accuse-8b54791b-183d-4287-857a-e1a94f776ce7/