Was ein italienischer Antimafia-Staatsanwalt Schülern zu sagen hat

Giuseppe Lombardo, Antimafiastaatsanwalt in Reggio Calabria, kürzlich von BILD als „härtester Mafia-Jäger der Welt“ porträtiert, ist nach Nord-Italien in das Gymnasium von Sacile, Provinz Pordenone (Friuli-Venezia-Giulia), eingeladen worden. Antimafiaduemila.com

„Die Mafia ist ein Phänomen mit verschiedenen Namen. Die wichtigsten sind `Ndrangheta und Cosa Nostra.“

Lombardo erklärt den Schülern die Macht der `Ndrangheta und ihrer Verzweigungen. Sie ist in der westlichen Welt heute unbestritten der Marktführer im Kokainhandel, der über unbegrenztes flüssiges Kapital verfügt, mit dem er Unternehmer, Politik, Medien, einfach jeden, kaufen kann. Er spricht über das „kriminelle System“ (1), das noch viel größer sei als das System der Mafien und gleichzeitig ganz im Verborgenen arbeite. Bei der Strategie der Bomben-Attentate (2), die gerade Gegenstand des Prozesses „`Ndrangheta stragista „(3) in Reggio Calabria ist, habe die Cosa Nostra eine wichtige Rolle gespielt (4). Angeklagt sind in dem Prozess ein sizilianischer Mafiaboss und ein Boss der `Ndrangheta. Allein dies sei schon ein Indiz dafür, dass die sizilianische und die kalabrische Mafia keine voneinander getrennten Organisationen sind, sondern sich wie „Schwestern“ verhalten, die die gleichen kriminellen Strategien anwenden. Und auch wenn jede Mafia-Organisation ihre eigenen Traditionen, Regeln, ihre eigene Sprache hätten, so seien Cosa Nostra, `Ndrangheta, Camorra und Sacra Corona Unita (5) ein einziges Phänomen und sie verfolgten alle die gleichen Strategien.

Auf seine Arbeit als Antimafia-Staatsanwalt in Kalabrien bezogen zitiert er den Artikel 54 der italienischen Verfassung: Die Bürger, denen eine öffentliche Funktion anvertraut wird, haben die Pflicht, sie mit Disziplin und ehrenvoll zu erfüllen, was sie in gesetzlich festgelegten Fällen beschwören müssen. „Doch aufgepasst“ warnt Lombardo: „Die Mafia hat diese beiden Begriffe gestohlen. Cosa Nostra und `Ndrangheta sehen beide einen Initiationsritus vor, in dem auf das Bild der Madonna schwören muss, wer Mitglied der Organisation werden will, also ein „Ehrenmann“, ein Vorbild an Disziplin. So sind unserer Verfassung diese beiden Begriffe gestohlen worden, während wir von Kriminellen geknebelt werden. Deshalb müssen wir uns unsere Identität und unsere Verfassung wieder zurückerobern. Nur so können wir den Kampf gewinnen.“

Abschließend appelliert er an die Schüler: „Erhebt eure Stimme zu Dingen, die andere Schüler nicht laut sagen können, weil sie in anderen Umständen leben als ihr! Die Mafien zeigen sich häufig und gerne in ganz subtiler Weise. Jedes Mal wenn ihr Euch umschaut und merkwürdige Zustände oder Verhaltensweisen bemerkt, sprecht miteinander darüber! Das, was jeder einzelne machen kann, ist, klar zu sagen, auf welcher Seite er steht. Und habt keine Angst! Kollektives Engagement heißt, alle bewegen sich zusammen vorwärts. Macht Euch vor allem eines klar: Denkt nie, dass die Mafia ein Problem sei, das Euch nicht betrifft! Das stimmt nicht! Es stimmt nicht für Euch, nicht für die anderen europäischen Staaten, nicht für Nordamerika. Der Kampf gegen die Mafien ist in vollem Gange, er wird noch lange dauern, aber es lohnt sich, mitzumachen. Für ein Leben in Würde ist es heute mehr als je entscheidend, sich aufzulehnen gegen die Tücken der Korruption, gegen Vorschläge, die eine schnelle und problemlose Bereicherung oder eine sofortige Problemlösung versprechen. Und das fängt schon bei scheinbar unbedeutenden Situationen des normalen Alltags an. Jeder muss ganz bewusst die Logik der Mafien ablehnen, weil er in seinem Inneren fest von dem überzeugt ist, was er macht, und weil er verstanden hat, was das Problem ist!“

(1) Als „kriminelles System“ bezeichnet Lombardo ein Netzwerk von Personen außerhalb der Mafia, die „an strategischen Positionen weltweit illoyal arbeiten, und dies gilt vor allem für die Bereiche Finanzen, Wirtschaft, Unternehmertum, Politik und Institutionen.“

(2) Gemeint sind die Attentate in den Jahren 1992 und 1993

(3) etwa: Die `Ndrangheta, die die Strategie der blutigen Attentate anwendet

(4) Bis vor mehreren Jahren hat man die Attentate in Sizilien ausschließlich der Cosa Nostra zugeschrieben. Auftrag und genaue Planung scheinen aber von außerhalb der Mafia gekommen zu sein.

(5) Sacra Corona Unita: Die aus Apulien stammende Mafia

 

 

 

 

 

 

 

(4) Die Mafia liebt es, wenn man sich vor ihr verbeugt, hasst aber Erziehung und Bildung.

Einer von zwei Jugendlichen denkt, dass die Mafia stärker ist als der Staat: „Papà, aber was ist der Staat?“ – „Cosa Nostra“ (Unsere Sache – gleichzeitig Name der sizilianischen Mafia)

Mafia e Stato. Se la mafia è… cosa nostra…

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