Wirecard: Zahlungsdienstleister ohne Aufsicht

Nicht zuständig: So lautet die behördliche Rechtfertigung gegen Vorwürfe, die Skandalfirma Wirecard sei nicht auf Geldwäsche kontrolliert worden. Es fehle an einer gesetzlichen Grundlage, verteidigt sich das Bundesministerium für Finanzen.
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Behörden im Wirecard-Skandal „Keiner fühlte sich zuständig“Fast zwei Milliarden Euro haben sich beim Zahlungsdienstleister Wirecard in Luft aufgelöst. Bei der Aufklärung des Skandals rücken auch die Finanzbehörden in den Fokus. Jetzt zeigt sich: Zuständigkeiten waren lange unklar. 

Von Arne Meyer-Fünffinger, Josef Streule und Sabina Wolf, BR

Am 1. September, nach zweitägigen Beratungen zum Fall Wirecard im Finanzausschuss des Deutschen Bundestages, tritt Hans Michelbach vor die Mikrofone. Der CSU-Finanzexperte teilt aus, unter anderem gegen die Bundesanstalt für Finanzdienstleistungsaufsicht (BaFin). Die habe sich über Jahre „defensiv verhalten, vielleicht auch täuschen lassen, obwohl es Warnhinweise durch Presseartikel und auch Anzeigen gab“. Michelbach nimmt auch die Konzernverantwortlichen bei Wirecard ins Visier. Die hätten „das Hauptziel verfolgt, möglichst viele Teile des Unternehmens aus der Finanzaufsicht herauszuhalten“.

Noch immer sind viele Fragen rund um den Skandal offen. Die Ermittlungen der Münchner Staatsanwaltschaft laufen. Der Deutsche Bundestag wird in Kürze einen Untersuchungsausschuss einsetzen, um die Rolle der Aufsichtsbehörden und deren mögliches Versagen zu durchleuchten.

Wirecard-Aufsicht: Zuständigkeiten unklar

„Bei Wirecard war das Problem, dass sich keiner zuständig fühlte“, sagt Markus Herbrand, Finanzexperte der FDP-Bundestagsfraktion. „Ganz viele wussten ganz viel, aber keiner hat gehandelt“. Interne Protokolle der Sondersitzung des Finanzausschusses zum Thema Wirecard vor rund drei Wochen, die BR Recherche und dem ARD-Magazin Plusminus vorliegen, belegen das eindrücklich.

Der Abgeordnete De Masi sieht bei dem Skandal „hohe kriminelle Energie“.

An zwei Tagen haben Vertreter von Bundesbank, Deutscher Börse und BaFin, von der Anti-Geldwäsche-Einheit FIU, vom Bayerischen Innenministerium, vom Bundesfinanzministerium und vom Bundeskanzleramt klarzumachen versucht: An ihnen hat es nicht gelegen. BaFin-Präsident Felix Hufeld drückte das dem Protokoll zufolge so aus: „Handwerklich betrachtet“ habe es „keine Fehlentscheidung auf Basis des Wissens von damals“ gegeben. „Das, was da bei Wirecard passiert ist, ist etwas, was mit hoher krimineller Energie gemacht worden ist“, wird der Staatsminister im Bundeskanzleramt, Hendrik Hoppenstedt, dort zitiert. „Natürlich war da hohe kriminelle Energie am Start, aber die Aufsicht war eben auch völlig unzureichend“, sagt der Finanzexperte der Linken, Fabio De Masi, im BR-Interview.

Keine einheitliche Geldwäscheaufsicht in Deutschland

Ein Problem: Die Geldwäscheaufsicht ist in Deutschland zwischen Bund und Ländern aufgeteilt. Laut Geldwäschegesetz müssen Güterhändler wie Juweliere, Immobilien- und Autohändler Geldwäscheverdachtsmeldungen abgeben, wenn Kunden Transaktionen in Höhe von mehr als 10.000 Euro bar bezahlen. Die Aufsicht über diesen Nicht-Finanzsektor liegt bei den Ländern und ihren untergeordneten Behörden. Für den Finanzsektor ist im Gegensatz dazu die BaFin zuständig.

„Seids Ihr zuständig?“

Der Online-Zahlungsdienstleister Wirecard fiel durch dieses Raster, weil sich offenbar niemand für den Gesamtkonzern zuständig fühlte. So achtete die BaFin lediglich darauf, ob die zum Konzern gehörende Wirecard Bank AG ihre Meldepflichten erfüllte. Ein Ministerialdirigent des Bayerischen Innenministeriums schilderte am 31. August im Finanzausschuss des Bundestages, warum niemand auf den Rest der AG schaute:

Am 20. Februar 2020, so der Beamte, hätten sich Vertreter der Wirtschaftsprüfungsgesellschaft EY, die über Jahre die Bilanzen von Wirecard abgesegnet hat, an die Bezirksregierung Niederbayern gewandt und gefragt: „Seids Ihr zuständig für die Geldwäscheprävention bei der Wirecard AG?“ – und die Regierung von Niederbayern hat es dann durchaus für möglich gehalten, dass das so ist.“

Für die Beantwortung dieser Frage sei aber eine Einschätzung der BaFin notwendig gewesen. Danach habe es einen Austausch „vielfältiger Art, dann wieder mit längeren Pausen“ mit der Bundesbehörde gegeben – bis zum 22. Juni, „mit der Mitteilung, die Regierung von Niederbayern sei nach der derzeitigen Einschätzung der BaFin die zuständige Stelle“. Das Innenministerium in München habe davon „fast durch Zufall“ erfahren. „Das ist natürlich ein unhaltbarer Zustand, wir brauchen eine Aufsicht aus einer Hand“, kommentiert Fabio De Masi die langwierigen Abläufe im Interview mit dem BR.

Wirecard-Verantwortliche fragten 2018 bei LKA Bayern nach

Vertreter von Wirecard hatten sich von sich aus schon im März 2018 an das Landeskriminalamt Bayern gewandt und „allgemeine Fragen gehabt (…) zur Geldwäscheprävention, zur Betrugsprävention“, führte der Vertreter des bayerischen Innenministeriums im Finanzausschuss weiter aus.

Experte: Zahlungsdienstleister anfällig für Geldwäsche

Für den Sachverständigen für Geldwäscheprävention Andreas Frank, der auch den Bundestag berät, ist der Wirecard-Skandal ein weiterer Beleg dafür, dass die Aufsichtsbehörden in Deutschland nicht funktionieren: „Zahlungsdienstleister wie Wirecard sind sehr anfällig, für Geldwäsche missbraucht zu werden. Deshalb stuft die Financial Action Task Force Zahlungsdienstleister als sogenannte Financial Institution ein, die Verpflichtete sind, das heißt, sie haben erhöhte Sorgfaltspflichten und sie müssen gegebenenfalls Geldwäscheverdachtsmeldungen abgeben.“ Und wenn die Aufsichtsbehörde eine Kommunikation mit dem Verpflichteten habe, dann gebe es die Möglichkeit, auch andere Dinge zu prüfen, so Frank weiter.

BaFin-Präsident Hufeld wusste mindestens seit April 2020 von den Problemen bei Wirecard.

BaFin-Präsident Felix Hufeld wusste spätestens im April 2020, dass Wirecard in ernsthaften Schwierigkeiten steckt – nach der Lektüre eines Sonderprüfungsberichts der Unternehmensprüfer von KMPG. Dieser sei für ihn der letzte Baustein gewesen, so Hufeld im Finanzausschuss, „dass hier die Hütte brennt“. Allerdings war da wohl schon alles zu spät. Denn zwei Monate später meldete Wirecard Insolvenz an.

Hätte der Skandal früher aufgedeckt werden können, wenn die Geldwäscheaufsicht funktioniert hätte? Während die Vertreter von Behörden und Ministerien das vehement vereinen, sagt Linken-Finanzexperte De Masi: „Man hätte dadurch feststellen können, dass vielleicht bestimmte Firmen nur Tarnfirmen sind, wo keine Umsätze erwirtschaftet werden. Und damit hätte man erkannt, dass hier Bilanzbetrug vorliegt.“ Ein parlamentarischer Untersuchungsausschuss, den der Deutsche Bundestag in Kürze einsetzen wird, wird unter anderem dieser Frage nachgehen.

Harm Bengen
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