Grauzone – unsichtbare Macht der Korruption

Italien: Parlamentarier der Fünf-Sterne-Bewegung bilden sich fort: „Die Grauzone. Phänomenologie der unsichtbaren Macht der Korruption“

Die Fünf-Sterne-Bewegung, die zusammen mit der Lega die aktuelle italienische Regierung bildet, scheint mit dem Kampf gegen Korruption und Mafia Ernst machen zu wollen: Vor kurzem waren Abgeordnete zu einer Tagung im Parlament geladen, die sich mit dem Konzept der „Grauzone“ beschäftigte – ein Begriff, der aktuell in der Antimafia und bei der Bekämpfung der Korruption eine entscheidende Rolle spielt.

Als Referenten waren Parlamentarier der Fünf-Sterne-Bewegung auf dem Podium (1), als Gast war der junge Schriftsteller Luciano Armeli Iapichino aus Messina eingeladen, der sich bestens in der Materie auskennt. (2)

Die Grauzone – was ist das?

Der Senator Mario Giarrusso, Mitglied des Justizausschusses, vergleicht die Grauzone mit einem Meer, das die besten Lebensbedingungen für Haie bietet. Die Haie stehen für alle Arten von Organisierter Kriminalität (OK), während dieses Meer besiedelt ist von Subjekten aller Art, die keine Mitglieder einer Mafia-Organisation sind, aber die den Haien die Umsetzung ihrer kriminellen Projekte ermöglichen. Die Banca d’Italia nennt als größten Wirtschaftszweig in Italien die Geldwäsche und schätzt sie auf jährlich 110 Milliarden Euro. Es ist klar, so Giarrusso, dass z.B. ein Mafioso aus Palermo nicht in der Lage ist, solche Geldströme in die richtigen Kanäle zu lenken, mit ihnen gewinnbringend zu arbeiten – dafür braucht es Experten, die man hier in der Grauzone des Bankensektors suchen muss.

Ein anderes Beispiel: der angebliche Selbstmord des sizilianischen Urologen Attilio Manca: Er galt damals – 2003 – als absoluter Experte bei Prostata-Operationen. Als der damalige Boss der Bosse, Bernardo Provenzano, eine solche Operation benötigte, reiste er mit einem echten Pass, ausgestellt von einer staatlichen Behörde auf den Namen eines Bäckers aus Villabate (Palermo), zweimal für Untersuchungen und ein drittes Mal für die Operation in eine renommierte Klinik in Marseille, das Ganze auf Kosten der italienischen staatlichen Krankenversicherung. Als Chirurg wurde der Top-Experte aus Sizilien gewonnen. Wahrscheinlich hat Attilio Manca bemerkt, dass der Patient nicht der war, für den er sich ausgab, und so musste er sterben, um den ganzen Apparat, der diese Aktion möglich gemacht hat, zu decken. (3)

Ein weiteres Beispiel aus dem Prozess „Aemilia“: Ein Journalist aus Reggio Emilia hat jahrelang Artikel über den Hauptangeklagten Nicolino Grande Aracrì veröffentlicht, in denen er ihn als „bekannten und erfolgreichen Unternehmer aus Kalabrien“ portraitierte. Für diese Artikel wurde er selbstverständlich bezahlt – das Urteil: 9 Jahre Gefängnis.

Als weitere Beispiele verweist der Senator auf verschiedene Prozesse aus jüngster Zeit: unter anderen nennt er vor allem den Prozess zur trattativa, in dem zum ersten Mal neben Mafiabossen Vertreter der italienischen Institutionen auf der Anklagebank saßen, das heißt ein Prozess, in dem Mafiabosse gemeinsam mit ihren Helfershelfern im Staat, also mit Vertretern der Grauzone, angeklagt waren. Des weiteren nennt er den letzten Prozess zum Attentat auf Paolo Borsellino –, es ist der vierte Prozess, die ersten waren in einem unglaublichen Ausmaß manipuliert. Wer schafft es, fragt sich Giarrusso, einen Prozess so zu manipulieren, dass Unschuldige ins Gefängnis wandern? Die Mafia kann die Manipulation eines Prozesses verlangen, erpressen, aber bewerkstelligen müssen sie Leute aus der Grauzone, die unverdächtig erscheinen und im System voll integriert sind.

Der Schriftsteller Luciano Armeli Iapichino erinnert daran, dass das Phänomen Grauzone nichts Neues ist: Schon die Politiker des Königreichs Italien Franchetti und Sonnino haben in ihrer Studie über Sizilien von 1876 nicht nur die Existenz der Mafia konstatiert, sondern auch unterstrichen, dass die Macht der Mafia auf der Unterstützung durch verschiedene Bereiche der Gesellschaft beruht. Heute, so Iapichino, seien die Unterstützer und Helfershelfer der Mafia vor allem unter den Geschäftsleuten und Unternehmern zu finden. Aber, so korrigiert er sich, für die Dienste der Mafia lassen sich praktisch alle Kategorien der Gesellschaft einspannen: Ingenieure, Wissenschaftler, Ärzte, Architekten, Anwälte und Notare, Journalisten, Finanzexperten, Banker, Politiker, Beamte der Behörden, Polizisten, Staatsanwälte, Richter und – Vertreter der Antimafia. Das heißt, alles in einer Gesellschaft vorhandene Know-how können sich die Mafien sozusagen über ihre „Verbindungsleute in der Grauzone“ beschaffen, und die Methode, der sie sich heute bedienen, ist bevorzugt die Korruption. Und wenn das nicht funktioniert, bedient man sich der klassischen Mafia-Methoden: Manipulation, Einschüchterung, Drohungen, Erpressung, und wenn gar nichts hilft, Attentate und Morde.

Antonella Papiro, Mitglied der Kommission Handel und Tourismus, die die Moderation übernommen hat, schließt die Tagung mit einem Zitat von Giovanni Falcone, der sagte, die Mafia könne besiegt werden, aber nur dann, wenn sich die besten Leute in den staatlichen Institutionen dafür einsetzten. Dies sei die Absicht der Fünf-Sterne-Bewegung: Die Glaubwürdigkeit der Institutionen wiederherzustellen, indem man ernsthaft den Kampf gegen Mafien und Korruption führe.

Die Tagung ist übrigens im Internet nur mit den beiden Berichten von Radio Radicale und Antimafiaduemila dokumentiert, anderen Medien war die Tagung keiner Erwähnung wert. Antimafiaduemila.com
Radioradicale.it

  1. a. der Senator Mario Giarrusso und Piera Aiello, Zeugin der Justiz seit Ende der 80er Jahre, jetzt Parlamentarierin der Fünf-Sterne-Bewegung
  2. Er hat ein Buch über die Ermordung des Urologen Attilio Manca veröffentlicht (s. Absatz 4)
  3. Der Prozess in Rom ist übrigens vor kurzem eingestellt worden, mit dem Ergebnis: Selbstmord durch eine Überdosis Heroin

    Marilena Nardi
    www.w-t-w.org/en/cartoon/marilena-nardi
    www.marilenanardi.it

Die „Königin“ der Häftlinge muss in Untersuchungshaft

Ein Gedanke zu „Grauzone – unsichtbare Macht der Korruption

  1. Pingback: Die "Königin" der Häftlinge muss in Untersuchungshaft | W-T-W.org

Kommentare sind geschlossen.