Fragen zur Mafia Organisation Cosa Nostra?

Im Anschluss an das dreitägige Antimafia-Seminar in Buenos Aires erscheint auf der Internetseite „infobae“ ein Interview von Andrea Bonzo mit Nino Di Matteo, dem stellvertretenden italienischen nationalen Antimafia-Staatsanwalt


„Den Einfluss der Cosa Nostra im globalen Gesamtgefüge der Organisierten Kriminalität zu unterschätzen, wäre ein gravierender Fehler.“

 

 

Übersetzung

Seine Bodyguards lassen ihn keine Sekunde aus den Augen. Nino Di Matteo ist der bestbewachte Staatsanwalt Italiens. Die von ihm durchgeführten Ermittlungen und seine aktuellen Recherchen haben ihn zur Zielsscheibe Nr. 1 der einflussreichsten Bosse der sizilianischen Mafia gemacht: des vor kurzem verstorbenen Totò Riina und von Matteo Messina Denaro, der als sein Nachfolger gilt.

Di Matteo akzeptiert es nicht, als „Held“ bezeichnet zu werden trotz seines mehr als 20 Jahre währenden Kampfes gegen die Cosa Nostra. „Die Männer, die gegen die Mafia kämpfen, sind Leute, die lediglich versuchen ihre Arbeit zu machen, weil sie glauben, dass ihre Arbeit nützlich sein könnte für andere“ sagt er während des Interviews anlässlich des italo-argentinischen Seminars, das diese Woche (25.-27.März 2019) in Buenos Aires stattgefunden hat.

Als Staatsanwalt der italienischen nationalen Antimafia-Staatsanwaltschaft hat er Ermittlungen angestellt zu den Verhandlungen zwischen Vertretern des italienischen Staats und Cosa Nostra, die nach den Attentaten auf die Richter Giovanni Falcone und Paolo Borsellino 1992 geführt worden sind. Die Ermittlungen führten im April 2018 zur Verurteilung von wichtigen Funktionären, Polizisten, Politikern und Mafiabossen. Seine Entdeckungen waren der Mafia, aber auch einigen Vertretern von Politik und Institutionen äußert unangenehm.

Ist die Cosa Nostra noch immer in der Lage, den italienischen Staat zu erpressen?

Solange eine Reihe von Morden auf höchster Führungsebene nicht vollständig geklärt ist, und dazu gehören auch die Attentate der Jahre `92 und `93, hat Cosa Nostra weiterhin die Macht, Institutionen zu erpressen und bleibt gefährlich. Wir dürfen eines nicht vergessen: Seit 1993 ist einer der Hauptvertreter dieser Zeit der blutigen Attentate, Matteo Messina Denaro, untergetaucht. Er weiß vermutlich, wer die Leute waren, die mit Cosa Nostra zusammengearbeitet haben, um diese Attentate zu planen, zu organisieren und durchzuführen, auch wenn sie selber nicht zur Organisation gehört haben.

Wie ist es möglich, dass Matteo Messina Denaro nach all diesen Jahren noch immer untergetaucht ist?

Die Geschichte des Untertauchens verschiedenster oberster Bosse der Mafia – Bernardo Provenzano war 43 Jahre unauffindbar, Riina mehr als 20, bei Messina Denaro sind es jetzt 26 – zeigt, dass viele von ihnen noch auf Komplizen auf den höchsten Ebenen der Institutionen zählen. Unterzutauchen gelingt nicht nur, weil jemand besonders fähig ist, zu flüchten. Der Prozess zur Trattativa (1) hat gezeigt, dass diese „Ehrenmänner“ Protektion aus den Institutionen hatten.

Manche sagen, dass die Festnahme von Messina Denaro unmittelbar bevorsteht. Stimmt das?

Ich möchte lieber keine Vorhersagen machen. Man hofft, dass mit seiner Festnahme ein Kapitel zu Ende geht, das immer noch eine Last und beschämend für unser Land ist.

Andererseits sind in den letzten Jahren viele andere Mafiabosse festgenommen worden. In welcher Situation befindet sich die Cosa Nostra nach all diesen Festnahmen?

Wer die Geschichte dieser Mafia-Organisation kennt, weiß, dass es schon immer Phasen von häufiger und brutaler Gewaltanwendung gab und solche von scheinbarer Ruhe. Hinter der Ruhe versteckt sich oft das Interesse, unauffällig zu bleiben, um sich den Geschäften widmen und in kritischen Phasen zugleich die Struktur der Organisation wieder neu ordnen zu können. Ich glaube, dass Cosa Nostra heute nicht im mindesten besiegt ist. Morde und gewalttätiges Vorgehen sind in den letzten Jahren weniger geworden. Aber Cosa Nostra bleibt immer das, was sie ist: Sie ist bestrebt, sich immer wieder neu aufzubauen und dabei den alten Regeln zu folgen. Ich persönlich kann nicht ausschließen, dass in den nächsten Jahren wieder die Strategie des brutalen Angriffs auf Staat und Institutionen eingesetzt wird.

Wie kommen Sie darauf?

Weil ich die Geschichte der Cosa Nostra kenne. 1963, nach der Festnahme vieler Bosse aus Palermo, glaubte man, Cosa Nostra sei vollständig vernichtet und zerstört. Aber in wenigen Jahren, von 1970 an, demonstrierte die Organisation ihre unglaubliche Macht und begann einen Aufstieg, wie man es in der ganzen Welt vorher nie gesehen hatte. Und das nicht nur, weil sie Vertreter der Führungsebene umbrachte – Richter, Staatsanwälte, Polizeibeamte, Carabinieri, Beamte der Steuerfahndung, Politiker, Gewerkschafter, Journalisten – sondern auch weil sie es schaffte, Beziehungen zu den höchsten Kreisen der regionalen und nationalen Politik herzustellen. Deshalb dürfen wir die Mafia nie unterschätzen: Verglichen mit anderen kriminellen Organisationen hat sie immer bewiesen, wie fähig sie ist, sich so zu tarnen, dass sie Beziehungen zu den Mächtigen pflegen kann.

Sie sind der Staatsanwalt, der im Augenblick in Italien dem größten Risiko ausgesetzt ist. Wie gehen Sie mit dieser Situation um?

Es sind jetzt 25 Jahre, dass ich mit Personenschutz lebe. In den letzten Jahren ist die Gefährdungslage um vieles heraufgesetzt worden, weil 2013 einige abgehörte Unterhaltungen die Absicht Totò Riinas enthüllten, mich umzubringen und weil andere, Kronzeugen, davon sprachen, es sei ein Projekt im Gang und man habe den Sprengstoff dafür schon beschafft. Dies hat zu einer unerträglichen Aufstockung des Schutzes geführt.

Haben Sie die Unterstützung der Institutionen und der Zivilbevölkerung?

Der Staat und die Institutionen haben auf die bestmögliche Art reagiert. Ich bin vor allem den Carabinieri unendlich dankbar, die meinen Schutz garantieren. Ich habe ebenfalls Unterstützung von einem wichtigen Teil der Zivilgesellschaft erhalten, auch von Schülern, Studenten, Bürgern im Allgemeinen. Allerdings sind in den Jahren, als ich an den Ermittlungen zu den Verhandlungen zwischen Staat und Mafia und in dem Prozess arbeitete, der sich daraus ergab, einige Staatsvertreter und Politiker in voreingenommener und dogmatischer Weise auf Distanz gegangen. Sie versuchten, diesen Ermittlungen ihre Berechtigung abzusprechen und sie lächerlich zu machen. Sie warfen mir und meinen Kollegen vor, wir wollten sie für politische Zwecke nutzen. Nach den fünf Jahren, die der Prozess dauerte, und als das Gerichtsurteil festlegte, dass die Hypothese der Anklage fundiert war, haben sie die Strategie geändert. Man bestreitet nicht mehr, dass der Prozess legitim war, sondern man schweigt ihn tot: Man spricht einfach nicht darüber. Es ist so, als ob sich eine Mauer des Schweigens auf eine Geschichte herabgesenkt habe, die zu kennen die italienischen Bürger doch das Recht haben.

Was empfanden Sie, als Riina 2017 starb?

Ich weiß, was ich in diesem Moment sagte und empfunden habe: Ich dachte, es wäre nicht korrekt, den Tod eines Mannes zu kommentieren. Dasselbe mache ich heute.

Sie haben gesagt, dass die Mafia an manchen Orten nicht mehr drohen oder auf Gewalt-anwendung zurückgreifen muss, weil es die Gesellschaft selber ist, die ihre „Serviceleistungen“ nachfragt. Wird man mit dieser Einstellung eines Tages das Phänomen ausrotten können oder ist der Kampf schon verloren?

Es ist schwer zu akzeptieren, dass ein ziemlich bedeutender und wichtiger Teil der Gesellschaft schon so weit ist, die Mafia als unvermeidliches Übel zu akzeptieren, mit dem man zusammenleben muss. Ohne diesen Teil, der tatenlos zuschaut und nur allzu bereit ist, das Vorgehen der Mafia zu akzeptieren, wäre sie schon längst ausgerottet. Trotzdem bin ich davon überzeugt, dass Falcones Prophezeiung sich erfüllen wird. Er sagte, dass die Mafia wie alle anderen menschlichen Phänomene ebenfalls ein Ende haben würde. Ich bin überzeugt, dass wir das schaffen können. Aber genauso überzeugt bin ich davon, dass dies nur geschehen kann, wenn zwei Bedingungen erfüllt sind: Die erste Bedingung ist, dass die Politik sich ändert: Die Regierungen müssen begreifen, dass der Kampf gegen die Mafia zur absoluten Priorität auf ihrer Agenda werden muss. Die andere muss von unten kommen: Es muss eine kulturelle Revolution geben, die, angefangen bei den jungen Leuten, die mafiöse Mentalität eliminiert. Die Mentalität, dass man dem folgt, der die Macht hat, des ständigen Austauschs von Gefälligkeiten, der Empfehlungen durch einen Mächtigen, der Lobbys. All die Dinge, von denen man glaubt, sie könnten einem selber Macht verschaffen, und die im Gegenteil die Rechte und die Sicherheiten der schwächsten Bürger einschränken.

Wie kann man eine solche Revolution erreichen?

Dabei ist die Schule wichtig, aber ich glaube auch an die Diskussionen, die man für die Bürger organisiert. Die Bürger müssen die physische Nähe der Leute spüren, die gegen die Mafia kämpfen, damit sie begreifen, dass sie nicht anders sind als sie: Sie sind keine Helden, sondern einfach Leute, die ihre Arbeit machen wollen, weil sie glauben, dass diese Arbeit nützlich sein kann für die anderen. Auch der Kampf gegen die Mafia muss zu einem Kampf des Volkes werden, nicht nur zu einem Kampf, der angeführt wird von den Institutionen, die für deren Bekämpfung zuständig sind.

Welche Rolle spielt im Augenblick Cosa Nostra in Lateinamerika?

Die `ndrangheta (2) unterhält vermutlich direkte Kontakte mit den kolumbianischen und mexikanischen Kartellen und dem organisierten Verbrechen in Südamerika. Wir dürfen aber nie vergessen, dass Cosa Nostra bevorzugte Kontakte zu den Mafiafamilien in den Vereinigten Staaten hat und dass diese Familien Einfluss nehmen können auf die kriminellen Strategien, sogar auf die der Kartelle in Südamerika. Neulich wurde Frank Cali in New York umgebracht, der zur Familie Gambino gehört. Vor einigen Jahren ergaben haben Ermittlungen ergeben, dass die Gambino die Verbindung zu den Mafiosi von Palermo waren. Ich glaube, die Geschichte der Cosa Nostra, ihren Einfluss und ihre Macht im globalen Gesamtgefüge der organisierten Kriminalität zu unterschätzen, wäre ein gravierender Fehler.

  1. Der Prozess zur trattativa untersuchte die Zeit der blutigen Attentate 1992-93, in denen Vertreter des italienischen Staates in Verhandlungen mit Cosa Nostra traten, um zu erreichen, dass die“ Strategie der blutigen Attentate“ beendet würde. Verhandlungsziel der Cosa Nostra war eine Revision der Urteile des Maxiprozesses und der Antimafiagesetzgebung
  2. Die italienische Mafia, die ursprünglich aus Kalabrien stammt

di AMDuemila
Al processo Gotha le rivelazioni del pentito che ricorda anche i Moti di Reggio