Urteile im Maxiprozess gegen die `Ndrangheta (Norditalien)

In den beiden Teilen des Maxiprozesses, der Anfang 2016 begonnen hatte, wurden die Urteile gesprochen: Im sog. „kurzen Prozess“ von Bologna waren es die definitiven Urteile in 3. Instanz, im sog. „ordentlichen Prozess“ von Reggio Emilia die in 1. Instanz. Es ist der erste Maxiprozess in Norditalien mit weit über 200 Angeklagten. Für die Verhandlungen mit so vielen Angeklagten und deren Verteidiger musste nach dem Vorbild der Aula Bunker in Palermo ein neues Hochsicherheitsgebäude errichtet werden. (1)

Im sog. „kurzen Prozess“ von Bologna sind von den anfangs 71 Angeklagten die Strafen für 40 Personen in 3. Instanz bestätigt worden, 11 wurden in 1. und 2. Instanz freigesprochen, für andere wurde das Strafmaß geändert, für wieder andere muss der Prozess in zweiter Instanz wiederholt werden…. Antimafiaduemila

Im sog. „ordentlichen Prozess“ von Reggio Emilia – es handelt sich dabei um den Prozess in 1. Instanz, auf den zwei weitere folgen werden – standen dort insgesamt 148 Angeklagte vor dem Richter, von denen 119 verurteilt und 29 freigesprochen wurden. Unter den Verurteilten sind neben Mitgliedern der `ndrangheta Unternehmer, Politiker, Polizisten, Journalisten, Finanzberater und der ehemalige Stürmer von Juventus Turin Iaquinta, der nach der Urteilsverkündung seiner Wut gegen die Richter freien Lauf ließ: Er sei unschuldig, er leide wie ein Hund, in seiner Familie wisse keiner, was die `ndrangheta überhaupt sein solle. (2).

Während des Prozesses haben drei der Mafia-Mitglieder beschlossen, mit der Justiz zusammenzuarbeiten. Mit ihren Aussagen haben sie im Prozessverlauf wichtige Ergänzungen für die Anklage geliefert. Einer von ihnen, Antonio Valerio, rief nach der Urteilsverkündung in den Saal: „In Reggio Emilia steht Ihr massiv unter Druck! Das ist noch lange nicht das Ende!“. In gleicher Weise, nur mit anderen Worten, äußert sich der leitende Staatsanwalt Giuseppe Amato..
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Bei der Urteilsverkündung hoben die Richter außerdem hervor, dass die falschen Nachrichten über den Verlauf des Prozesses nicht, wie die Verteidiger wiederholt behaupteten, von Journalisten verbreitet worden seien, sondern von mehreren Zeugen, die nach Meinung des Gerichts eingeschüchtert und bedroht worden seien, denn im Gericht machten sie falsche Aussagen oder verweigerten überhaupt jede Aussage. Dafür verhängten die Richter ebenfalls Strafen.

Welche Bedeutung hat dieser Prozess für den Kampf gegen die Mafia?

Die Urteile bestätigen in vollem Umfang die Ermittlungsergebnisse: In der Region Emilia Romagna, aber vor allem im Gebiet von Reggio Emilia, Modena und Piacenza, operiert ein autonomer Clan der `ndrangheta, der Clan der Grande Aracri, der aus Cutro in Kalabrien stammt. Seit 30 Jahren wird er von Leuten aus der Gesellschaft unterstützt, so dass er inzwischen eine wichtige Rolle in Politik, bei Unternehmern und in der Wirtschaft allgemein spielt. Das Urteil bestätigt außerdem offiziell die Existenz der `ndrangheta als Mafia-Organisation.

Der Prozess wurde einem einzelnen Clan einer einzelnen Mafia-Organisation gemacht. Man muss sich aber bewusst sein, dass in der Region Emilia-Romagna alle italienischen und verschiedene ausländische Mafien tätig sind. Wenn man die Zahl der Angeklagten in beiden Maxiprozessteilen – das waren weit über 200 – auf die Zahl der in der Region aktiven Mafia-Organisationen überträgt, wird einem sofort klar, dass dies nicht etwa das Ende, sondern nur ein kleiner Anfang im Kampf gegen die Mafien sein kann.

(1) Ein „kurzer Prozess“ ist nach einer Gesetzesreform von 1999 möglich: Er sieht vor, dass das Gericht für die Urteilsfindung auf das eigentliche zeitaufwendige Verfahren verzichtet und das Urteil auf der Basis der Ermittlungsergebnisse vor Prozessbeginn formuliert. Damit einher geht ein Straferlass von einem Drittel der Strafe, das Urteil „lebenslänglich“ ist somit gar nicht mehr möglich (Höchststrafe: 30 Jahre)

(2) Laquinta ist wegen Vergehen „im Zusammenhang mit Waffen“ zu 2 Jahren Haft verurteilt worden, wobei erschwerend hinzukam, dass er die Geschäfte der Mafia erleichtert habe. Sein Vater muss wegen Mitgliedschaft in der `ndrangheta 19 Jahre hinter Gitter.

In den Händen der Mafia

Espresso Repubblica