Organisierte Kriminalität

»Viel mehr auf die Kapitalseite schauen«

Organisierte Kriminalität: Das Klischee vom Pizzabäcker, der Geld für die Mafia wäscht, ist veraltet. Gespräch mit Sandro Mattioli

Interview: Ben Mendelson in Junge Welt

Der Journalist Sandro Mattioli ist Vorsitzender des Vereins »Mafia? Nein danke!« mit Sitz in Berlin

Die Bundesregierung erklärte im Juli auf Anfrage der Grünen, die Zahl der Mafiosi habe sich in Deutschland in den letzten zehn Jahren vervierfacht. Aber diese Form der organisierten Kriminalität, OK, wird kaum im Wahlkampf thematisiert.

Die OK hat im Wahlkampf nicht den Stellenwert, den sie haben sollte. Wenn davon die Rede ist, dann meist in Verbindung mit Schleuserkriminalität. Es gibt aber Formen der OK, die die Menschen in Deutschland sehr viel mehr berühren sollten. Zum Beispiel ist Geldwäsche aus meiner Sicht ein sehr viel gewichtigeres Problem und hat stärkere Auswirkungen auf das Leben der Menschen.

Geldwäsche ist ein hochkomplexes Phänomen, das in verschiedenen Formen auftritt und unterschiedliche Akteure hat. Das lässt sich nicht so einfach beschreiben. Parteien sind im Wahlkampf aber gezwungen, eingängige und leicht verständliche Aussagen zu tätigen, weil diese honoriert werden. Die italienische Mafia wird im Wahlkampf kaum beachtet. Und hätten wir zehn Jahre nach den blutigen Mafiamorden von Duisburg nicht im Sommer eine Konferenz zur Mafiathematik abgehalten, wäre wohl auch die Anfrage der Grünen nicht zustande gekommen. Aber unser Verein »Mafia? Nein danke!« hat die verschiedenen Wahlprogramme analysiert: Immerhin finden sich ein paar zentrale Forderungen von uns zum Teil darin wieder.

SPD und Union fordern 15.000 neue Stellen bei der Polizei.

Das ist nicht verkehrt, aber man muss sie richtig schulen und einsetzen. Die CDU will vor allem mehr Polizisten auf der Straße. Das ändert aber wenig am Problem der höher entwickelten OK. Wir müssen viel mehr auf die Kapitalseite schauen. In den letzten Jahren hat der Staat nur knapp sechs Millionen Euro jährlich aus Mafiageschäften eingezogen. Der Anteil ist verschwindend gering, da das Bundesfinanzministerium schätzt, dass etwa hundert Milliarden Euro jährlich in Deutschland gewaschen werden.

 

Welche Vorschläge halten Sie für sinnvoll?

Interessant ist der Ansatz der Linkspartei, die für eine stärkere Kontrolle des Finanzsektors eintritt und eine Bundesfinanzpolizei gegen Geldwäsche und Steuerhinterziehung vorschlägt. Das wäre ein Schritt in die richtige Richtung und würde die Priorität verschieben in einen Bereich, den wir als Grauzone wahrnehmen. Die Grünen fordern besondere Bekämpfungskonzepte und strengere Regelungen für Schattenbanken. Wir müssen verstehen, dass Akteure der OK hochkomplexe Finanzkonstrukte nutzen und mit geschlossenen Fonds arbeiten. Kapitalströme müssen viel besser nachvollziehbar sein.

In Deutschland denkt man immer noch, bei Geldwäsche gehe es um den Pizzabäcker, der am Tag statt 1.000 Euro Umsatz 2.000 aufschreibt. Das geht aber weit am Problem vorbei. Aus Ita­lien kennen wir Konstruktionen, die zur Geldwäsche in Milliardenhöhe aufgebaut wurden. In Deutschland fehlt bislang die Erkenntnis, dass es so etwas auch hier geben könnte.

Woran liegt das?

Die dadurch angerichteten Schäden sind nicht so sichtbar. Die italienische Mafia hat nach den Morden in Duisburg 2007 schnell gelernt, dass es unvorteilhaft für sie ist, wenn sie hier weiter tötet. Sie will verhindern, dass mehr Licht auf sie fällt. Die Bundesregierung zählt 562 Mafiosi in der BRD, aus meiner Sicht sind es wohl eher 1.000 bis 1.500. In zahlreichen Städten gibt es Repräsentanzen verschiedener italienischer Clans.

In welchen Wirtschaftszweigen hat die Mafia ihre Finger im Spiel?

Das ist eine schwierige Frage, weil die Bereiche nicht trennscharf sind. Bei den illegalen Geschäften gibt es die Klassiker: Handel mit Waffen und Kokain, Cyber- und Abfallkriminalität sowie Fälschungen. Neben den klassischen legalen Geschäftszweigen – Hotelbranche, Gastronomie und Bauindustrie – sind Mafiosi auch im Bereich der erneuerbaren Energien aktiv. Ehrlich gesagt: Wir können heute keinen Wirtschaftszweig ausschließen.

In der Immobilienbranche gibt es jede Menge Fonds, die investieren, so dass nicht mehr nachvollziehbar ist, wessen Geld wohin fließt. Die Mafia nutzt das aus, weil sie weiß, wie man mit großen Summen im Wirtschaftskreislauf viel bewegen – und verschleiern – kann. Kriminell erwirtschaftete Gelder landen schnell in irgendwelchen Steuerparadiesen, sie von dort weiterzubewegen ist einfach.

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Tatort Duisburg: Am 15. August 2007 kam es in Deutschland zuletzt zu klassischen Mafiamorden.   Foto: Federico Gambarini/dpa
 

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