Palermo: Die Schutzgelderpressung anzeigen – und dann?

Geschlossen wegen Schutzgelderpressung

„Da die Schutzgelderpressung eine große Bedeutung für die Mafia hat, ist es umso wichtiger, dass die Opfer die Erpressung anzeigen! Nur so ist es möglich, das Erpresser-Netz allmählich auseinander zu dividieren. Ohne das Geld aus der Schutzgelderpressung funktioniert das System nicht, mit dem die Mafia die Familien der Bosse im Gefängnis unterstützt, und so bricht dann das ganze System zusammen!“ (Francesco Messineo, Staatsanwalt Palermo, anlässlich der Operation „Hybris“ 2011)

Die Geschichte von Daniele Ventura, 27 Jahre
Daniele wächst in Brancaccio auf, einem Viertel von Palermo, das sich durch eine besonders hohe Kriminalitätsrate auszeichnet. (1) Danieles Familie lehrt ihn aber, die Gesetze zu achten, und die Ermordung der beiden Antimafia-Richter Falcone und Borsellino 1992 – da ist Daniele 8 Jahre alt – hinterlässt in ihm und in seiner Familie einen unauslöschlichen Eindruck.

2010 setzt Daniele seinen Lebenstraum um und eröffnet voller Optimismus im Zentrum von Palermo eine Bar. Anfangs geht alles gut, bis eines Tages drei Männer erscheinen, die von ihm Schutzgeld verlangen. Völlig überrascht gibt er der ersten Erpressung nach und zahlt. Dann aber fallen ihm die beiden Antimafiarichter ein, seine großen Vorbilder, und unterstützt von einem Cousin, zeigt er die Erpressung bei der DDA von Palermo an. (2) Aus den Fotos, die man ihm vorlegt, kann er die drei Erpresser identifizieren.

Leider ist der Albtraum, in dem die Opfer von Schutzgelderpressung leben müssen, hier nicht zu Ende, wie man glauben könnte: Auch wenn Daniele die Unterstützung von Addiopizzo hatte, die Leute im Viertel mieden ihn nun wie die Pest, die Aufträge für ein Catering gingen rapide zurück, immer weniger Leute wollten ihren Kaffee in seiner Bar trinken. Auch von den anderen Geschäftsleuten, die weiter an die Mafia zahlten, bekam er massiven Druck: man zerstörte ihm die Eingangstür und man stahl ihm die wertvollsten Einrichtungsgegenstände. Und so konnte er schließlich Strom und Miete nicht mehr bezahlen und musste die Bar schließen.

Das Verhalten der Leute ist für Daniele ein einziges Rätsel, „nach allem, was in den letzten Jahren hier passiert ist“. Eine andere Ursache aber vermutet er darin, dass der Staat keine starken Signale gibt und sich aus der Verantwortung stiehlt: Die Consap (3) verweigerte ihm die finanzielle Unterstützung mit dem Argument, man könne nicht erkennen, dass die beantragten Gelder für den Unterhalt der Bar bestimmt seien, obwohl Daniele alles mit Rechnungen dokumentieren konnte. Erst als eine Online-Zeitung und eine bekannte Fernsehsendung sich seines Falles annahmen, wurde die Entscheidung der Behörde geändert.

Siziliens Ministerpräsident Musumeci forderte ihn auf, ihm in einem Brief seinen Fall zu schildern. Der Brief blieb jedoch bis heute ohne Antwort. Als sich Daniele an den Staatspräsidenten Mattarella wandte, beschied ihm das Sekretariat, der Staatspräsident habe keine Zeit für ihn. Dies sind, so Daniele, Verhaltensweisen, die nicht gerade dazu beitragen, das Vertrauen ehrlicher Bürger in den Staat zu fördern.

Doch trotz dieser Erfahrungen bereut Daniele seine Entscheidung nicht. „Ich würde es jederzeit wieder so machen!“ Trotzdem findet er seine Erfahrungen wichtig, da sie typisch sind für alle, die die Schutzgelderpressung anzeigen. Deshalb hat er darüber ein Buch geschrieben. Außerdem hat ihm der Vizepräsident des Regionalparlaments vorgeschlagen, einen Gesetzesvorschlag zu formulieren, in den alle spezifischen Probleme einfließen sollen. Der Text solle dann der Nationalen Antimafia-Kommission in Rom vorgelegt werden.

Nach einiger Zeit der Arbeitslosigkeit hat Daniele nun auch die Unterstützung durch ein anderes Mafia-Opfer gefunden, durch den Unternehmer Calì: Der musste seinen Laden, eine Art Tauschbörse, ebenfalls schließen, nachdem er die Schutzgelderpressung angezeigt hatte. Seine Entscheidung, nicht zu zahlen, hatte Calì dann noch mit einer Anzeige in einer örtlichen Zeitung untermauert: „Ich zahle kein Schutzgeld!“. Jetzt haben beide diesen Laden neu eröffnet und arbeiten zusammen.

Allerdings verhalten sich die Leute noch genau wie vorher: Sie meiden das Geschäft, zeigen den beiden mutigen Männern den Mittelfinger, beschimpfen sie, aber, so Daniele, „wir beugen uns nicht und gehen gemeinsam voran!“  Antimafiaduemila.com

 (1) In Brancaccio wurde 1993 der Priester Pino Puglisi im Auftrag der beiden Mafiabosse Graviano umgebracht.

(2) Direzione distrettuale Antimafia: Örtliche Antimafia-Einheit

(3) Consap: ein Amt, das die der Mafia konfiszierten Gelder verwaltet und für die Unterstützung der Opfer von Schutzgelderpressung zuständig ist.

Daniele Ventura: Cosa nostra non è cosa mia, La Zisa 2018

 

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