Korruption und Mafia: Papst Franziskus strebt dafür die Exkommunikation an

Das Ministerium des Vatikans „für eine ganzheitliche Entwicklung des Menschen“ hat am 15. Juni eine Tagung abgehalten mit dem Titel „Internationale Debatte zum Thema Korruption“. Es soll ein Papier erarbeitet werden, in dem die Strategien für den Kampf gegen Korruption und Mafia und die weiteren Schritte formuliert werden. Vorgesehen ist darin die Exkommunikation für Korrupte und Mafiosi.

Foto:LaPresse/Osservatore Romano

Die Tagung, an der ca. 50 Antimafia- und Antikorruptions-Staatsanwälte, Bischöfe, Vertreter des Vatikans, Vertreter verschiedener Staaten und der Vereinten Nationen, Journalisten und Wissenschaftler verschiedener Fachrichtungen teilgenommen haben, wurde von Papst Franziskus höchstpersönlich eröffnet: Er sieht beim Kampf gegen Mafia und Korruption die Katholische Kirche in einer Führungsrolle und betont, der Selbstreinigungsprozess der Kirche müsse „ohne Angst“ fortgesetzt werden.

Die Konferenz ist ein weiterer Schritt in der Antimafia- und Antikorruptions-Politik Bergoglios.

2014 hatte er vor 250 000 Gläubigen in Kalabrien den kirchlichen Bannfluch gegen die Mafien ausgesprochen, im März 2015 gegen Camorra, Schwarzarbeit und Bestechungs-gelder – „Sie verbreiten nur Gestank!“. Seitdem diskutierte man heftig in allen Bereichen und auf allen Ebenen der Katholischen Kirche, wie diese klaren Vorgaben des Papstes konkret umgesetzt werden könnten.

Die Aufgabe des Ministeriums „für eine ganzheitliche Entwicklung des Menschen“ wird es nun sein, ein Handbuch für Gemeindepfarrer und Bischöfe der Diözesen auszuarbeiten, in denen konkrete Hilfestellungen für die Exkommunikation gegeben werden. Auch Sonderfälle werden aufgenommen werden, z.B. wenn jemand nach der Exkommunikation bereut und etwa beschließt, mit der Justiz zusammenzuarbeiten. Oder wenn eine Mafiafamilie den Tod ihres Familienoberhauptes mit demonstrativem Pomp begehen möchte – so geschehen in Rom im August 2015, als die Beerdigung des Bosses Casamonica in einer Weise begangen wurde, dass man sie nur als Verhöhnung von Gesellschaft, Staat und Katholischer Kirche bezeichnen kann. Oder wenn eine religiöse Prozession umgewandelt wird in eine Verherrlichung des örtlichen Mafiabosses – dafür gibt es mehrere Beispiele aus den letzten Jahren.

Die Endredaktion des Handbuchs wird Papst Franziskus selber übernehmen. Die Arbeiten daran sollen vor Jahresende abgeschlossen sein, so dass die Anweisungen ab 2018 in Kraft treten können.  Ilfattoquotidiano.it. Ilfattoquotidiano.it/Corrotti e Mafiosi

„König von Rom“ – Keine Karikatur! So wurde 2015 der Boss eines römischen Mafia-Clans verherrlicht.

Dem Boss der Bosse „einen Tod in Würde gewähren“?

Der Anwalt von Salvatore Riina, Oberhaupt der Cosa Nostra, seit 1993 wegen ungezählter Morde, darunter die Attentate auf die Antimafia-Richter Falcone und Borsellino 1992 und die Anschläge auf dem Festland von 1993 (Florenz, Mailand, Rom), in Isolationshaft, hat beim Kassationsgericht den Antrag gestellt, die Freiheitsstrafe seines Mandanten auszusetzen oder in Hausarrest zu verwandeln. Begründung: Riina sei sehr alt (er ist 86), krank und liege im Sterben. Das Kassationsgericht hat dem Antrag stattgegeben und ihn an das zuständige Gericht in Bologna weitergeleitet, das bei seiner Ablehnung aus dem Jahre 2016 die besonders schweren Gesundheitsprobleme des Häftlings nicht in Betracht gezogen habe, so das Kassationsgericht.

Auch ein Häftling zu den Bedingungen des „41 bis“ (Isolationshaft) habe das Recht, in Würde zu sterben.

Keine drei Wochen sind vergangen, seitdem italienische Staatsvertreter und Medien tagelang den 25. Jahrestag des Attentats auf den Antimafia-Richter Giovanni Falcone mit Reden und viel Pomp begangen haben.

Umso mehr fällt auf, dass jetzt, nachdem das oberste Gericht dem Boss der Bosse einen „Tod in Würde“ ermöglichen will, sich kaum ein Staatsvertreter zu Wort meldet. Dabei hatte Riina nicht einmal Bedenken, anzuordnen, den kleinen Sohn eines Kronzeugen in Salzsäure aufzulösen (1). Im Raum stehen auch immer noch die Morddrohungen Riinas aus dem Gefängnis, die dem Antimafia-Richter Di Matteo aus Palermo und Don Ciotti, dem Leiter der größten Antimafia-Organisation in Italien, gelten. (2)

Rühmliche Ausnahme ist Franco Roberti, Nationaler Antimafia-Staatsanwalt, der betont, dass Riina noch immer der oberste Boss der Cosa Nostra sei, wofür er Beweise habe. Dass Riina nach wie vor höchst gefährlich sei, das bestätige der Staat dadurch, dass man für den Staatsanwalt Di Matteo die höchste Sicherheitsstufe angeordnet habe. Keine Frage: Salvatore Riina muss in Haft bleiben.

Der Staatsanwalt aus Catanzaro, Nicola Gratteri, unterstützt die harte Linie: Riina sei ein Boss, der auch mit den Augen Befehle gebe; zu behaupten, dass von ihm keine Gefahr mehr ausgehe, sei völlig verfehlt. Antimafiaduemila.com

Mehrere Mafia-Experten heben einen weiteren Gesichtspunkt hervor: Im Januar 2017 hatte Riina erklärt, sich im Prozess über die „trattativa“ (3) den Fragen des Gerichts zu stellen. Eine Ankündigung, die die italienische Öffentlichkeit in helle Aufregung versetzte. Eine Woche später zog der Angeklagte seine Zustimmung zurück, weil er Fieber habe.

Hier ist auch an das Schicksal des anderen Bosses der Bosse, Bernardo Provenzano, (4) zu erinnern: Als erkennbar war, dass er aussagen wollte, hatte er plötzlich und auf bis heute ungeklärte Weise eine schwere Kopfverletzung, die seinen mentalen Zustand so verschlimmerte, dass eine Aussage nicht mehr möglich war. Antimafiaduemila.com

Heißt das, dass die Bereitschaft eines hochrangigen Bosses auszusagen dazu führt, dass „irgendjemand“ tätig wird, um zu garantieren, dass der Boss den Mund hält? Dann müsste man die Hoffnung aufgeben, andere Hüter der Geheimnisse des italienischen Staates und der Mafia könnten doch noch irgendwann aussagen.

Was Riinas Gesundheitszustand angeht: Er ist tatsächlich schwer krank und kann seit einiger Zeit nicht mehr sitzen. Aber er hat bis heute – mit einer Ausnahme – an den über 150 Prozessverhandlungen – im Liegen und per Videokonferenz – teilgenommen und scheint nicht im Mindesten „im Sterben“ zu liegen. Er ist unter ständiger ärztlicher Aufsicht und hat ganz regulär am letzten Verhandlungstag (8. Juni 2017) teilgenommen. Antimafiaduemila.com

Das Verhalten der italienischen Staatsvertreter ist mir persönlich ein Rätsel. Dass weder der Regierungschef noch der Ex-Regierungschef Matteo Renzi sich öffentlich äußern, das kennt man ja. Aber wenigstens der Staatspräsident Sergio Mattarella, dessen Bruder von der Mafia 1980 ermordet wurde – auch dafür hat Riina ein „Lebenslänglich“ erhalten –  hätte doch zu diesem unerhörten Vorgang Stellung nehmen müssen. Die einzige plausible Erklärung scheint mir, dass offensichtlich die Geheimnisse zwischen italienischen Staatsvertretern und Mafia Geheimnisse bleiben sollen.

Anmerkungen:

(1) Giuseppe Di Matteo, 13 Jahre alt, Sohn eines Kronzeugen, wurde von der sizilianischen Mafia 1993 entführt, um seinen Vater zu zwingen, seine Aussagen über das Attentat von Capaci zurückzuziehen. Nach langer Gefangenschaft wurde Giuseppe im Januar 1996 in Salzsäure aufgelöst.

(2) Dass das Vorhaben eines Attentats auf den Staatsanwalt Di Matteo nicht aufgegeben ist, hat ein abgehörtes Gespräch unter Mafiosi Anfang 2017 ergeben: Daraufhin hat man Di Matteo „aus Sicherheitsgründen“ eine außerordentliche Stelle in der DNA (Direzione Nationale Antimafia) in Rom angeboten, weil er in Palermo nicht mehr sicher sei.

(3) Im Prozess zur „trattativa“ (Verhandlungen zwischen Staat und Mafia) ist Totò Riina einer der angeklagten Mafia-Bosse. Wie die anderen angeklagten Bosse hat er bisher zu den entscheidenden Fragen des Gerichts geschwiegen.

(4) Nachdem 1993 Riina festgenommen worden war, hieß der Boss der Bosse Bernardo Provenzano. Unerklärlich, wie ihm, untergebracht in einer Einzelzelle, unter ständiger Video-Überwachung, eine so schwere Kopfverletzung beigebracht werden konnte. Ihm hat man keinen Tod in Würde ermöglicht, er starb im Gefängnis.

„Ein Tod in Würde für Riina“ – „Tut mir leid, die würdevollen Tode sind aus“

Italien: Einziehung von Vermögenswerten auch für Fälle von Korruption?

Seit längerem liegt im italienischen Senat eine Neufassung des Gesetzes Rognoni-La Torre (von 1982), die die Einziehung von Vermögenswerten nicht nur für Mafiosi, sondern auch für der Korruption überführte „Weiße-Kragen-Täter“ vorsieht. Leider wurde die Gesetzesnovelle bisher nicht verabschiedet und die Sommerpause ist nicht mehr weit. Deshalb fand kürzlich in Palermo eine Veranstaltung statt, auf der die Bedeutung dieses Gesetzesvorschlags für den Kampf gegen die Mafia und die Korruption noch einmal erläutert und betont wurde.

Initiatoren des Vorschlags zur Novellierung des Gesetzes von 1982 sind der ehemalige Staatsanwalt aus Palermo und heutige Präsident der politischen Bewegung „Azione civile“ Antonio Ingroia und der Historiker und Antimafia-Aktivist Franco La Torre. Franco La Torre ist der Sohn des kommunistischen Politikers Pio La Torre, auf dessen Initiative hin das Gesetz Rognoni-La Torre im September 1982 erlassen wurde. Pio La Torre bezahlte seine Gesetzes-Initiative, die zum ersten Mal die Zugehörigkeit zur Mafia zur Straftat erklärt und die Beschlagnahmung von Mafia-Besitz vorsieht, mit seinem Leben. Schon im April 1982 wurde er von zwei Killern der Cosa Nostra in Palermo umgebracht.

Bei dem Gesetz von 1982 handelt es sich um ein höchst schlagkräftiges Antimafia-Gesetz. Das zeigen einerseits unzählige von der Justiz abgehörte Gespräche unter Mafiosi, in denen diese beklagen, dass der Staat ihnen ihren ganzen Besitz stehle, oder in denen diskutiert wird, wie man eine Rücknahme der Beschlagnahmungen erreichen könne. Außerdem ist diese Forderung der Mafia auch im sog. „Papello“ aufgeführt – der nach Aussagen von Kronzeugen vom Boss der Bosse Totò Riina höchst selbst aufgestellte Forderungskatalog an den italienischen Staat, wenn er ein Ende der Attentate der Jahre (1992 und 1993) erreichen wolle.

Das bisher gültige Gesetz sieht Folgendes vor: Stellt die Staatsanwaltschaft ein deutliches Ungleichgewicht zwischen der Erklärung der Einkünfte eines Mafioso und seinen tatsächlichen Besitztümern fest, so kann sie sofort – präventiv – alle seine Vermögenswerte beschlagnahmen. Im folgenden Prozess muss der Angeklagte beweisen, dass sein Besitz aus legalen Quellen stammt, andernfalls gehen die Güter endgültig in den Besitz des italienischen Staates über.

Die Gesetzesnovelle Ingroia-La Torre sieht nun vor, ein derartiges Vorgehen auch auf Fälle von Korruption in den verschiedensten staatlichen Bereichen, auf Amtsmissbrauch, aber auch auf Fälle von gewohnheitsmäßiger Steuerhinterziehung auszudehnen.

Antonino Di Matteo, Vertreter der Anklage im Prozess zur „trattativa“, bei der Veranstaltung ebenfalls anwesend, vermutet, dass die Neufassung des Gesetzes „ein Erdbeben“ auslösen könnte, denn es würde das im Augenblick vorhandene prekäre kriminelle Gleichgewicht ins Wanken bringen, das auf der Risiko- und Nutzen-Kosten-Rechnung und der Garantie auf Straffreiheit basiert.

Wie wäre es, wenn der deutsche Gesetzgeber, der sich doch so schwer tut mit Gesetzen gegen Korruption, einen Blick nach Italien riskieren würde?

Freimut Woessner
www.f-woessner.de

 

Mafia? – In Deutschland?

Unter diesem Titel organisierte die Stadtbibliothek Stuttgart am 21.11.2016 in Kooperation mit dem „Staatlichen Seminar für Didaktik und Lehrerbildung“, dem Regierungspräsidium und dem LKA Stuttgart einen Abend, an dem Experten die im Titel enthaltene Frage beantworteten.

Schülerinnen und Schüler des JKG Leonberg stellen einleitend das Ergebnis einer Umfrage zum Thema Mafia vor, die sie auf den Straßen der Stadt durchgeführt haben.
Eine weitere Stuttgarter Schülergruppe, die mit ihren Lehrerinnen im Sommer 2016 eine Studienreise nach Sizilien gemacht haben, skizzieren den Verlauf ihrer Reise., die von der bekannten Antimafia-Vereinigung aus Palermo „Addiopizzo“ organisiert worden war.

Die vier Referenten beleuchten in einem kurzen Referat je einen Aspekt des Themas:

Sandro Mattioli, Journalist und Vorsitzender der einzigen deutschen Antimafia-Organisation „Mafia? Nein danke!“ (Berlin) stellt die Arbeit des Vereins vor: Ziel sei es, das unsichtbare Phänomen Mafia für die Bürger sichtbar zu machen, eine schwierige Aufgabe, da die Mafien allgemein versuchten unsichtbar zu bleiben, um damit den Eindruck zu erwecken, die Mafia existiere in Deutschland gar nicht. Die Mafia betrachte das Massaker von Duisburg 2007 als „Unfall“, denn Aufsehen erregen sei „geschäftsschädigend“.
Die Geschäfte bestünden aus Schutzgelderpressung, oft in der Form von „Du spendest doch sicher für…“, dem Druck auf italienische Geschäftsleute und Restaurantbesitzer, Waren nur von einer bestimmten, mafia-nahen Firma zu beziehen, und den klassischen „Geschäftsfeldern“ wie z.B. Drogen-, Waffen- und Menschenhandel, einfach aus allem, wo es viel Geld zu machen gilt.
Er geht auch darauf ein, dass in Deutschland die Zugehörigkeit zur Mafia kein Straftatbestand ist. Mafiosi könnten also jederzeit „Vereinssitzungen“ veranstalten, ohne dass die Polizei eine Handhabe hätte. In Baden-Württemberg seien Verbindungen von Mafiosi mit Politik und Finanzwelt feststellbar, er nennt aber nur den alten Fall Oettinger. Ein hiesiger Unternehmer, der in die Geschäfte mit der Windkraft einsteigen wollte, habe nicht begriffen, dass seine „Geschäftspartner“ von der Mafia waren, und dadurch sehr viel Geld verloren.

Andreas Frank, ehemaliger Investment-Banker von Goldman-Sachs, heute Berater des Bundestages und des Europarats in Fragen, die das Problem der Geldwäsche betreffen, macht mit seinem Vortrag klar, dass es sich bei der Bekämpfung von Geldwäsche, der OK (Organisierten Kriminalität) und der Terrorfinanzierung um ein riesiges Problem handelt, das alle angeht.
UNODC/IMF schätzen die jährlichen Einnahmen der OK auf € 3 Billionen. Was weltweit konfisziert wird, wird auf weniger als 1 % geschätzt!
Diese gigantischen Geldströme hinterlassen Spuren im Finanzsystem, die nur übersehen werden können, wenn man sie nicht sehen will. Es stelle sich also die Frage, wem die Verschleierung von Geldwäsche nützt. Treuhänder, Anwälte, Banken, Vermögensverwalter usw. verschleierten die Eigentümer und die Herkunft von Vermögen und verhinderten Finanzermittlungen gegen OK und Terrorgruppen. Denn Geldwäsche ist ein lohnendes Geschäft. Es gibt Banken, die mehr Strafen als Steuern bezahlen. Als Beispiel nennt Herr Frank die Credit Suisse, die in den vergangenen Jahren ihr Geschäftsgebaren in 35 Gerichtsverfahren erklären musste.
Wie einfach es ist, Geld zu waschen, erläutert Herr Frank am Beispiel der Bahamas, wo er vor kurzem gewesen ist. Dort kann jeder mit einem Kapital von 100 Dollar einsteigen. Er braucht kein Büro, keine Mitarbeiter vor Ort, kein Telefon, noch nicht einmal einen Briefkasten. Überprüfungen gibt es nicht, die Pauschalbesteuerung liegt bei 350 Dollar im Jahr, die Besitzer des Geldes sind nur dem „registered agent“ bekannt. Und er habe selber erlebt, wie entsprechende Dokumente in seiner Anwesenheit manipuliert wurden, indem sie einfach rückdatiert worden und dann mit dem offiziellen Amtsstempel versehen worden seien.
Herr Frank zitiert den leitenden Oberstaatsanwalt aus Palermo Roberto Scarpinato, der sagte, es gebe unglaubliche Geldströme von Italien nach Deutschland. Es gehe um Milliardenbeträge. Dies hatten 45 Kronzeugen in Vernehmungen bestätigt. Seine Behörde habe allein in Palermo in den letzten 20 Jahren über 4 Milliarden Euro sichergestellt.
Warum ist Deutschland ein Paradies für Geldwäscher? Ideale Länder für diese Art „Geschäft“ sind Länder, die charakterisiert sind durch Rechtsstaatlichkeit, geringe Korruption, liquide Märkte und politische Stabilität. Das bedeutet, Deutschland, Frankreich, Belgien und Großbritannien sind an erster Stelle unter den Geldwäscheparadiesen in Europa.

David Schraven, Journalist und Leiter des journalistischen Recherchezentrums correctiv.org, hat für die WDR – Dokumentation „Mafia in Deutschland“ recherchiert, die Dokumentation „Warum die italienische Mafia Deutschland liebt“ veröffentlicht und kennt sich durch seine Arbeit (z.B. die Reportage „Mafia in Pforzheim“) auch in Süddeutschland aus.
Einleitend möchte Herr Schraven die beiden Fragezeichen im Titel der Veranstaltung durch dicke Ausrufezeichen ersetzen: Die Mafia sei in Deutschland sehr präsent, Deutschland sei kein Rückzugsraum, sondern ein Ort, an dem sie ihren Geschäften ungestört und erfolgreich nachgehen könne. Die Zugehörigkeit zur Mafia ist bei uns nicht strafbar und Geldwäsche sei sehr leicht möglich.
Er berichtet, er sei bei seinen Recherchen Mafia-Mitgliedern sehr nahegekommen. Darunter waren auch mehrere Gespräche mit einem Profi-Killer der Mafia (Das Interview ist Teil der WDR-Dokumentation, die man auf https://correctiv.org/recherchen/mafia/ noch besichtigen kann). Er stellt fest, dass man solchen Menschen ihren Beruf nicht ansieht, wenn man ihnen gegenüber steht. Sie sind nicht aufgewühlt, wenn sie eben „im Auftrag der Mafia“ einen Freund umgebracht haben, sondern können gleich danach seelenruhig „Nudeln mit Hühnchen“ essen.

Tin Huynh, Experte für italienische OK vom LKA in Stuttgart, stellt die LKA- Initiative „Insieme si può – Gemeinsam schaffen wir es“ vor. Zentrum der Initiative ist ein Hinweistelefon im LKA. Insgesamt seien bisher 45 verwertbare Anrufe eingegangen, die in über 20 Fällen zu Ermittlungen und Gerichtsverfahren führten. Das sei angesichts der massiven Präsenz von italienischen Firmen und Betrieben in Baden-Württemberg nicht viel. Der Grund liege im mangelnden Bekanntheitsgrad der Aktion, der darauf zurückzuführen sei, dass das Verteilen und Auslegen der Flyer und das Aufhängen der Plakate bis vor kurzem politisch nicht gewollt war.

Die Veranstaltung schloss mit der Möglichkeit, Fragen an die Experten zu richten. Die Moderation erfolgte durch Dr. Knut Krohn (Ressort Politik, Stuttgarter Zeitung).
Gemeinsam schaffen wir es
Artikelserie:
Frauen und Kinder leiden unter Korruption

Italien nach dem Erdbeben: Was nun?

Italien nach dem ErdbebenEine Woche nach dem schweren Erdbeben
in Mittelitalien, bei dem Zivilschutz, Hilfsorganisationen und viele Freiwillige aus ganz Italien im Katastrophengebiet Bewundernswertes geleistet haben, diskutiert man in Italien den Wiederaufbau.

Das Erdbeben, das unglaubliche Schäden und vergleichsweise viele Tote produziert hat (die offizielle Zählung nennt inzwischen 293 Opfer), macht deutlich, dass für die verheerende Zerstörung nicht nur die Natur, sondern auch die Gier der Mafien und die Korruption in Behörden und Bauwirtschaft verantwortlich sind. Geradezu zerbröselte Häuser, Gebäude, die in sich zusammenfallen, sind Folge einer von der Mafia infiltrierten und nur am momentanen Profit interessierten Bautätigkeit. Dies beginnt schon bei der Verwendung von minderwertigen Materialien und endet bei der in diesen Tagen viel zitierten Einstellung, die in einem heftigen Erdbeben nur die Chancen für „große Geschäfte“ sieht. Zitiert werden immer wieder abgehörte Telefongespräche unmittelbar nach dem vorletzten großen Beben in L’Aquila (2009), in denen Bauunternehmer vor dem Bildschirm die Katastrophe verfolgen und sich gleichzeitig dabei ins Fäustchen lachen, weil für die nächsten zehn Jahre die profitabelsten Geschäfte möglich würden.

Der nationale Antimafiastaatsanwalt Franco Roberti: „Die Erfahrungen und wissenschaftlichen Untersuchungen, die in der Vergangenheit gemacht wurden, sagen uns, wenn ein Haus gut gebaut wird, wenn beim Bau die speziellen Vorschriften für erdbebensichere Bauweise berücksichtigt wurden, dann kann ein solches Gebäude bei einem Erdbeben Schäden erleiden, sich neigen, aber es kann sich nicht in Staub auflösen oder in sich zusammenfallen.“

Experten sehen aber nicht nur die „Beteiligung“ der Mafien als Gefahr beim Wiederaufbau, sondern fügen auch die weit verbreitete Korruption und die Behinderungen durch die Bürokratie hinzu.

Raffaele Cantone, Präsident der ANAC (staatliche Antikorruptionskommission) nimmt buchstäblich „zwei Italien“ wahr: Das Italien der Solidarität und das der kriminellen Geschäftemacher. „ Ja, ich sehe da zwei unvereinbare Italien: Das Italien der Freiwilligen, die aus ganz Italien kommen und bis zum Umfallen mit bloßen Händen nach Überlebenden graben (…) Da ist es dann schwer sich vorzustellen, dass es das gleiche Land ist wie das derer, die sich im großen Stil und unverschämt bereichern. (…) Einerseits gibt es ein wunderbares Italien, und es gibt diejenigen, die nur an die Geschäfte denken, die sie auf dem Rücken von Erdbebenopfern machen können.“

In der öffentlichen Diskussion wird immer wieder betont, dass man aus den Fehlern der Vergangenheit lernen wolle. Die Regierung Renzi hat schnelles und vor allem transparentes Handeln versprochen. In Brüssel hat der Regierungschef offenbar schon eine Lockerung der Stabilitätskriterien erreicht. Er hat alle staatlichen Antimafia- und Antikorruptions-Institutionen in den Prozess des Wiederaufbaus eingebunden, um größtmögliche Transparenz zu garantieren und plant aber auch ein Präventionsprogramm mit dem Namen „Casa Italia“ (etwa: Italien – unser Zuhause). in Italien, einem Land mit hohem Erdbebenrisiko, entsprechen nach Schätzungen von Experten lediglich 30% der Gebäude den Standards für erdbebensichere Bauweise. Für dieses Projekt will die Regierung jährlich 3 Milliarden Euro zur Verfügung stellen.

Die Fotos von zerbröselten Häusern, die Nachricht von einer erst 2012 eingeweihten und in sich zusammengefallenen Schule sollten auch uns und unsere Behörden zum Nachdenken bringen: Man könnte z.B. darüber nachdenken, ob in einer Zeit, in der die Mafien über so viel Kapital verfügen, dass sie jeden legalen Bieter bei öffentlichen Bauaufträgen aushebeln können und Verbindungen in die Amtsstuben haben, das Prinzip, dem billigsten Bieter den Auftrag zu geben, noch sinnvoll ist.

Giannelli

Twitter-Kampagne für das italienische Gesetz zum Schutz der Whistleblower

Mit einer Twitter Kampagne von Vocidigiustizia (Stimmen für Gerechtigkeit) #vocidigiustizia  fordern zwei italienische Organisationen die Präsidentin der „Senatskommission für Verfassungsfragen“ und all ihre Mitglieder auf, das Gesetz zum Schutz der Whistleblower noch einmal in ihre Agenda aufzunehmen.

Die italienische nicht parteigebundene internet-Comunity „riparte il futuro“ (etwa: „Neustart für die Zukunft“), die laut Auskunft ihrer Homepage aus über einer Million Italienern besteht, die gegen Korruption in Italien vorgehen wollen, weil sie zur Verarmung weiter Kreise der Bevölkerung, zu mehr Arbeitslosigkeit, zu Perspektivlosigkeit und Resignation vor allem unter den jungen Italienern führe, und weil Korruption jede Hoffnung auf Zukunft und das Gemeinwohl zerstöre, und Transparency International Italia haben eine Petition formuliert und eine Twitter-Kampagne gestartet, mit der sie die Kommission für Verfassungsfragen des italienischen Senats und ihre Präsidentin Anna Finocchiaro auffordern, das Gesetz zum Schutz der Whistleblower neu zu diskutieren, um notwendige Verbesserungen vorzunehmen.

Das am 21. Januar 2016 vom italienischen Parlament gebilligte Gesetz zum Schutz von Whistleblowern soll vor allem in folgenden Punkten verbessert werden:

  • Die Anlaufstellen, an die man sich mit entsprechenden Anzeigen wenden kann, müssen genau definiert sein
  • Den Personen, die Fälle von Korruption oder anderen Gesetzesverstößen anzeigen, deren Zeuge sie an ihrem Arbeitsplatz geworden sind, muss völlige Diskretion garantiert werden
  • Personen, die solche Anzeigen mit Vergeltungsmaßnahmen beantworten, müssen bestraft werden

„Wer Korruption und Gesetzesverstöße am Arbeitsplatz anzeigt, braucht Schutz“, betont Priscilla Robledo von „riparte il futuro“

Deshalb gehört zu den Vorschlägen auch die Einrichtung eines Fonds, aus dem die hohen Anwaltkosten bezahlt werden sollen, die bei Vergeltungsmaßnahmen durch die angezeigten Personen anfallen. Man diskutiert außerdem, dass für solche Anzeigen eine Belohnung ausgesetzt werden müsse. 2015 sind bei der nationalen Antikorruptionsagentur ANAC etwa 200 Anzeigen eingegangen, ohne dass man den jeweiligen Personen einen angemessenen Schutz geschweige denn eine Belohnung hätte zusichern können. „Wir wollen ein wirkungsvolles Gesetz, das die Leute motiviert, eine Anzeige zu machen“ so Robledo. Gelänge es, mit der Kampagne ein umfassenderes Gesetz zum Schutz der Whistleblower in Italien zu erreichen, ware das ein weiterer Schritt in die Richtung einer Kultur der Legalität, der Transparenz, ein Schritt zu einer ernsthaften Bekämpfung der Korruption im staatlichen und privaten Sektor.

ANAC

Regierungschef Renzi schlägt vor, die Regeln für die Bekämpfung der Korruption zu vereinfachen. – „Der Papst rät: Du sollst nicht stehlen“.

Regierungschef Renzi schlägt vor, die Regeln für die Bekämpfung der Korruption zu vereinfachen. – „Der Papst rät: Du sollst nicht stehlen“.

 

 

Alarm Ndrangheta im Tessin

„Wenn wir nicht etwas unternehmen, kauft die ‚Ndrangheta im Tessin alles auf“
So äußert sich Dimitri Bossalini, Präsident der Tessiner Polizei, gegenüber Journalisten der italienischen Tageszeitung „Il Fatto Quotidiano“. Die kalabrische Mafia sei dabei, buchstäblich die gesamte Wirtschaft des Tessin auszuhöhlen.

Ungewöhnlich deutliche Worte für Schweizer Verhältnisse, wo man sich, vor allem von offizieller Seite, bisher nur ungern mit dem Thema Mafia beschäftigt hat.

Besonders interessant für die ‚Ndrangheta-Clans seien das Immobiliengeschäft, das Gaststättengewerbe, aber auch das Geschäft mit den Maschinen für das Baugewerbe und der gesamte Bausektor. „Sie haben unsere niedrigen Hypothekenzinsen genützt, um Gebäude zu erwerben mit denen sie ihre Gelder waschen können, in einigen Orten ist das ganz klar zu sehen“, so Bossalini, „und wir gewöhnen uns allmählich daran, mit diesen Leuten zusammenzuleben und Geschäfte zu machen. Leider sind uns in der Schweiz bei den Ermittlungen oft die Hände gebunden. Wir haben nicht die Mittel italienischer Ermittler, z.B. die Abhörmaßnahmen und die Möglichkeit der Beschattung. Bei uns sind die Gesetze viel restriktiver.“

Tatsächlich sind es bis heute vor allem italienische Ermittler, die sich zur Situation in der Schweiz äußern. Seit 2010 wurden 14 Ermittlungen von Italien aus durchgeführt, die die Schweiz betrafen. Insgesamt wurden in diesem Zeitraum 41 Personen wegen Beziehungen zur ‚Ndrangheta angeklagt oder verurteilt.

Doch es scheint sich etwas zu ändern in der Schweiz: Im Mai diesen Jahres fand in Lugano an der Universität der Italienischen Schweiz eine Konferenz statt, während der sich schweizer und italienische Ermittler und Journalisten des Investigativ-Netzwerks Investigativ.ch trafen, um sich über das Problem der Mafia-Infiltration in der Schweiz auszutauschen.

Konkretes Beispiel? Das Projekt „Alptransit“ – Erst Anfang Juni wurde der längste Eisenbahntunnel der Welt im Tessin eingeweiht und schon wird eine Anklage gegen drei Projektleiter vorbereitet, die für den Tod eines Bauarbeiters aus Kalabrien verantwortlich sein sollen. Während der Konferenz in Lugano berichtete John Noseda, der die Ermittlungen leitende Oberstaatsanwalt im Kanton Tessin, dass „bei der Ankunft der Polizei der Tatort schon völlig verändert worden war, dazu erwies sich, dass keine Sicherheitsmaßnahmen getroffen worden waren. Keiner der 30 Arbeiter wollte reden, weil sie Angst um ihren Arbeitsplatz und ihre Familien hatten. Das ist Omertà, wie man sie bei der Mafia praktiziert. Die Bauarbeiter werden in die Schweiz transportiert, ausgebeutet und bedroht, so wie es eben klassische Praxis bei der Mafia ist.“

Klare Worte fand auch der Anwalt Bernasconi: „Bei uns in der Schweiz fehlen die Antikörper, nicht nur, was die öffentlichen Bauaufträge betrifft. Je mehr sich im Finanzsektor sozusagen im Unterholz abspielt, um so größer die Wahrscheinlichkeit, dass hier die Mafia mitspielt.“
Ilfattoquotidiano.it
Il Portale del Ticino

Derek Easterby www.w-t-w.org/en/cartoon/derek-easterby www.twitter.com/Ybretsae

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